Dienstag, August 04, 2015

Wo findet freies Geisteslebens statt?

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Reto Andrea
Autor:
Reto Andrea Savoldelli

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(Als Fortsetzung des vorangehenden Beitrags
Freiheitsphilosophie in der Waldorfschule
und gleichzeitig Antwort auf den Kommentar von Herrn Kullak)

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In meinem letzten Klamurke-Blogbeitrag konnte man lesen, daß die Waldorfbewegung ihrem ursprünglichen Auftrag nicht nachkomme. Vorstandsmitglied im Bund der deutschen Waldorfschulen Henning Kullak fordert in seinem Leserbrief, daß an Waldorfschulen

endlich ein vernünftiger Gesellschafts- und Wirtschaftskundeunterricht stattfinden sollte.

Somit sagt er an einem Beispiel erläutert dasselbe. Nur, daß seine Forderung bislang nicht erfüllt wurde, geht kurioserweise zu Lasten von Ken Jebsen, den man nicht an Stelle einer solchen bedauerlicherweise inexistenten Aufklärung „Aufklärung“ betreiben lassen dürfe.

Darüber hinaus habe ich darauf hingewiesen, daß ein Funktionär immer in Gefahr ist, die Einrichtung, die ihm in liebgewordenen Formen das Funktionieren erlaubt, gegen Einflüsse abzuschirmen, die sie geistig in Bewegung halten. Der Hinweis auf dieses, jedem bekannten seelischen Trägheitsgesetzes war dann auch schon alles. Rudolf Steiner hat dasselbe einmal viel besser zum Ausdruck gebracht:

„…Lassen Sie einmal eine Generation ihr Geistesleben freier entfalten und dann dieses Geistesleben organisieren, wie sie es will; es ist die reinste Sklaverei für die nächstfolgende Generation. Das Geistesleben muß wirklich, nicht bloß der Theorie nach, sondern dem Leben nach frei sein. Die Menschen, die darin stehen, müssen die Freiheit erleben. Das Geistesleben wird zur großen Tyrannei, wenn es überhaupt auf der Erde sich ausbreitet, denn ohne daß eine Organisation eintritt, kann es sich nicht ausbreiten, und wenn eine Organisation eintritt, wird sogleich die Organisation zur Tyrannin. Daher muß fortwährend in Freiheit, in lebendiger Freiheit gekämpft werden gegen die Tyrannis, zu der das Geistesleben selber neigt. (Vortrag vom 14.Oktober 1921).

Das weist auf die in „Das Seminar“, Basel untersuchte sozialästhetische Grundaufgabe hin, in jeder Situation die Organisation von dem Geistesleben unterscheiden zu lernen. Dazu sind insbesondere für Funktionäre, d.h. für vorwiegend in der Organisation Tätige flüssige Aufgabenstellungen zweckdienlich, die es ihnen erleichtern, sich im Dienst des freien Geisteslebens zu bewähren (wozu selbstverständlich auch ihr eigenes, individuelles Geistesleben gehört). Eine solche lag nun mit der an Ken Jebsen ergangene Einladung der SMV (Schülermitverwaltung) der Göppinger Waldorfschule vor. Zunächst ist diese am Funktionär Axel Dittus, dem Geschäftsführer der Schule, abgeblitzt. Bereits im Vorfeld haben die Göppinger Kreisnachrichten am 8. Juli 2015 im Leitartikel Waldorfschule in Erklärungsnot Dampf abgelassen (wie sich Henning Kullak ausdrücken würde):

Man hat Jebsen antisemitische Äußerungen vorgeworfen,

war da zu lesen. Jebsen würde behaupten, so konnte es der Göppinger Kreisnachrichten-Leser lesen, daß der

Anschlag auf das World-Trade-Center von der amerikanischen Regierung inszeniert worden sei.

- So was hat man im Ländle wirklich noch nie gehört. Der Kerl muß Internetzugang besitzen. Am 24. Juli 2015 meldete dieselbe Zeitschrift:

Das große Interesse und der Zuspruch für Jebsen haben ein tiefer liegendes Problem aufgezeigt: Es gibt im Umfeld der anthroposophischen Schule offenbar gut vernetzte Kreise (sag ich doch, die Kreise nutzen Internet, Anm.), die anfällig dafür sind, die vielzitierte Erziehung zur Freiheit zu nutzen, um mit pseudo-wissenschaftlichem Anstrich kruden Theorien den Weg zu bereiten.

So gab Dittus via Kreisnachrichten als Verwalter des zuständigen Geisteslebens bekannt:

Ich distanziere mich als Geschäftsführer von Ken Jebsens Gedankengut. Das paßt nicht zum Geist unserer Schule.

- Wenn er sich zuvor kundig gemacht hätte, würde er wissen, daß für Jebsen das Gedankengut nicht so wichtig ist wie für ihn selbst. Er ist nur ein Journalist mit einem außergewöhnlichen Berufsethos, der vorwiegend undemokratische Machtstrukturen untersucht, das heißt über Tatsachen und Vorfälle berichtet, die in der Qualitätspresse untergehen. (Wie übrigens auch Daniele Ganser, vor dem die Zeitschrift im selben Atemzug als vor einem weiteren, an Waldorfschulen eingeladenen „Verschwörungstheoretiker“ warnt. Ganser ist ebenso 12-jähriger Ex-Waldorfschüler wie Ken Jebsen und weltweit bekannter Historiker und Leiter des schweizerischen Instituts SIPER und hat als einziger Universitätsprofessor Aufbau und Tätigkeit der NATO-Geheimarmeen untersucht, wovon die Kreisnachrichten jedoch auch nichts wissen will.)

Alle diese beunruhigenden Tatsachen sind zugegebenermaßen schwer zu verdauen. Für Dittus und seine Kollegen im Bund der Waldorfschulen ein Ding der Unmöglichkeit, bevor nicht

endlich ein vernünftiger Gesellschafts- und Wirtschaftskundeunterricht (Kullak)

an Waldorfschulen eingerichtet wurde. Laut den Göppinger Kreisnachrichten räumte Dittus auch Fehler ein:

"Da ist etwas an uns vorbei gegangen. Wir sind erst am Wochenende wach geworden. - Im übrigen versicherte der Geschäftsführer, daß für den geplanten Auftritt Jebsens in Uhingen auf keinen Fall Finanzmittel der Schule geflossen wären. Eltern müssen an der anthroposophischen Bildungseinrichtung Schulgeld zahlen.

- Das mußte klar kommuniziert werden, damit nicht wegen einem falschen Geistesleben ein anderer Kreisnachrichtenleser etwa sein Kind von der Schule nimmt.

Der Zusammenhang zwischen der

Schlaflosigkeit der Herrschenden und die Wachsamkeit der Protestierenden

(Thema der diesjährigen Biennale in Venedig) ist ein wichtiges Forschungsgebiet der Sozialästhetik. Dittus, der spät wach wurde, gehört nicht zu den Herrschenden. Die Zeitschrift hat ihn aufgeweckt. Und jetzt liest man dort:

Nach Dittus' Angaben wurde die Organisation der Projekttage, zu denen auch eine Podiumsdiskussion zum Thema TTIP gehört, von einem Lehrer begleitet. Dessen Rolle soll nun hinterfragt werden.

- Offensichtlich ist das freie Geistesleben großflächig aufgewacht.

Jebsen wurde im Hasenhaus, dem Vereinslokal der Kleintierzüchter, wohin sich der Vortragende verziehen mußte, von Gisela Grauberger, einer ehemaligen Mathematiklehrerin der Waldorfschule begrüßt. Die investigative Redaktion sichtete auch einen Pfarrer der Christengemeinschaft im Ruhestand. Und einen 85-jährigen Pionier der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Und erschreckend viele Jugendliche. Hingegen haben sich die im Sold stehenden Waldorflehrer nicht hingewagt. Dafür hob die Lehrerein für Mathematik - ein für krude Theorien besonders gefährdeter Berufszweig - den Mut von Ken Jebsen hervor.

Henning Kullak hat Verständnis für die Schüler (die sind halt in dem Alter so).

Wenn ich Schüler wäre und plötzlich würden lauter Erwachsene kommen und so einen Zirkus veranstalten, dann würde ich es auch erst recht machen.

- Ein Jugendversteher, wie er im Buche steht. Auch ich war in jenem Alter so doof. Doch macht er dennoch darauf aufmerksam, daß Jebsen

junge Leute möglicherweise in die Händen von irgendwelchen Bauernfängern treibe, die einfache Lösungen anbieten.

- Möglicherweise ist vieles, möglicherweise wollten die jungen Leute von Jebsen auch nur Dinge hören, die sie wissen möchten. Aber die Dinge (ihr wißt schon, Amerika als Aggressor und solchen Blödsinn) dürfen sie nicht von einem Demagogen hören. Und so wiederholt Kullak in den Göppinger Kreisnachrichten sein Ceterum Censeo:

Ich bin mit meinen Vorstandskollegen einig, daß wir den Vorfall zum Anlaß nehmen, künftig verstärkt Wirtschafts- und Gesellschaftskunde zu unterrichten.

Die Göppinger Waldorfschule ist nicht die erste, welche eine an den ehemaligen Waldorfschüler Jebsen ergangene Einladung ihrer Schüler streicht. Dafür reichte in seiner eigenen Waldorfschule Überlingen eine einzige in Kolumbien geschriebene Mail, die er in seinem hervorragenden Vortrag, den er daraufhin gehalten hat, vorgelesen und kommentiert hat. (Kann man wie alles googeln) - Auch der bösartige Vorwurf des Antisemiten, den er im Fall von Jutta Dittfurth gerichtlich ausräumen ließ (Dittfurth mußte für ihre im Fernsehen erhobene Beschimpfung Busse zahlen und bat daraufhin auf ihrer Webpage um finanzielle Unterstützung), weshalb moralisch Minderbemittelte danach die unanfechtbare Wendung nutzen, daß Jebsen

Antisemitismus vorgeworfen worden sei.

So auch in den Göppinger Kreisnachrichten. Sie fürchten sonst, Jebsen per Gerichtsbeschluß finanziell zwangsunterstützen zu müssen. Soviel zu ihrem Bekenntnis zum Rechtsstaat.

Auch den Vorwurf des „Anti-Demokraten“, die das Göppinger Qualitätsblatt erhebt, könnte, wenn es mit normalen Dingen zugehen würde, nur von jemandem stammen, der nichts von Jebsen gehört oder gesehen hat. Doch liegt leider nicht mal dieser Fall vor. In meinen Augen legt Jebsen der Demokratie eher eine zu große Bedeutung bei (was ein anderes Thema wäre). Das letzte Interview, das er ins Netz gestellt hat, fand mit Hermann Poppla zu dessen Buch „Hinter den Kulissen“ mit dem Thema der heimlichen Unterwanderung der Demokratie statt.

Kommen wir noch auf den Verschwörungstheoretiker Jebsen. Zunächst mal allgemein: derjenige, der irgendetwas über Weltpolitik verstehen oder gar lehren will, und die historisch in jedem Zeitalter eingegangenen Verschwörungen außen vor lassen würde, bräuchte seine Erkenntnisliebe gar nicht erst zu bemühen. Das sagt ein Schweizer im Hinblick auf die Begründung der Eidgenossenschaft. Die Eide wurden nämlich auf der Rütliwiese bei Nacht und Nebel geschworen. Anyway, der bedeutendste Verschwörungsforscher - damit meine ich nicht bloß den Verschwörungstheoretiker, sondern den Entdecker von Verschwörungen - ist zweifellos Rudolf Steiner. Vieles, von dem, was den Abscheu der Redaktoren der Göppinger Kreisnachrichten mitsamt ihren Kollegen in der Organisation der Waldorfschule erregt hat, hat Steiner bereits vor hundert Jahren formuliert. Nur drastischer. Wenn Menschen nicht rückwirkend lernen könnten - wovon ich nicht überzeugt bin - dürfte man Steiner nicht einmal im Kleintierzüchtervereinshaus sprechen lassen. Beispiel gefällig?

«Tonangebend ist eine Gruppe von Menschen, welche die Erde beherrschen wollen mit dem Mittel der beweglichen kapitalistischen Wirtschaftsimpulse. Zu ihnen gehören alle diejenigen Menschenkreise, welche diese Gruppe imstande ist, durch Wirtschaftsmittel zu binden und zu organisieren. Das Wesentliche ist, daß diese Gruppe weiß, in dem Bereich des russischen Territoriums liegt eine im Sinne der Zukunft unorganisierte Menschenansammlung, die den Keim einer sozialistischen Organisation in sich trägt. Diesen sozialistischen Keim-Impuls unter den Machtbereich der antisozialen Gruppe zu bringen, ist das wohlbezeichnete Ziel. Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn von Mitteleuropa mit Verständnis eine Vereinigung gesucht wird mit dem östlichen Keim-Impuls. Nur weil jene Gruppe innerhalb der anglo-amerikanischen Welt zu finden ist, ist als untergeordnetes Moment die jetzige Mächte-Konstellation entstanden, welche alle wirklichen Gegensätze und Interessen verdeckt. Sie verdeckt vor allem die wahre Tatsache, daß um den russischen Kultur-Keim zwischen den anglo-amerikanischen «Pluto-Autokraten» und dem mitteleuropäischen Volke gekämpft wird. In dem Augenblick, in dem von Mittel-Europa diese Tatsache der Welt enthüllt wird, wird eine unwahre Konstellation durch eine wahre ersetzt. Der Krieg wird deshalb so lange in irgendeiner Form dauern, bis Deutschtum und Slawentum sich zu dem gemeinsamen Ziele der Menschen-Befreiung vom Joche des Westens zusammengefunden haben.»

Daß Rudolf Steiner damit eine zentrale Tatsache des politischen Lebens Deutschlands aufgedeckt hat, steht denjenigen, welche etwas Wesentliches gelernt haben, klar vor Augen. Für diejenigen, welche die Beweise dafür unter die Nase gerieben wünschen, sei an die Äußerung eines Leaders jener „Menschengruppe des Westens“ erinnert. Der Chef der „Schatten-CIA“ (wie das Wallstreetblatt Barron’s (seit 1921) die Einrichtung STRATFOR - STRATegic FORecast - genannt hat) äußerte am 4. Febr. 2015 auf „The Chicago Council of Global Affairs“:

Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im ersten und zweiten Weltkrieg und im kalten Krieg, waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland. Denn, wenn sich diese Länder vereinen, stellen sie die einzige Macht dar, die Amerika bedrohen kann. Unser Hauptinteresse besteht somit darin, sicherzustellen, daß dieser Fall nicht eintritt.

- Und fügt seine („geschichtswissenschaftliche“) Prophezeiung hinzu, daß es in Europa wieder zu Krieg kommen wird, den zu verhindern Jebsens großes Anliegen darstellt.

Europa wird, wie ich vermute, zwar nicht zu den großen Kriegen, aber doch zum menschlichen Normalfall zurückkehren. Es wird seine Kriege haben und dann wieder seine Friedenszeiten.

(Und für erstere wird das einzige Imperium, wie er die USA nennt, schon sorgen. George Friedman, so heißt jene Blüte der Intelligenz, weist auf die Konflikte in Jugoslawien hin und auf die gegenwärtigen in der Ukraine, die beide ohne UNO-Mandat von der US-Administration angefacht wurden.) Ich gebe mal den Link zu dieser von menschenverachtenden Zynismen überschäumenden Analyse imperialer Besessenheit:

https://www.youtube.com/watch?v=93evBMAVmNA

In seinem voranstehenden Leserbrief empfiehlt mir Henning Kullak die Lektüre der von Johannes Moosmann zusammengestellten Äußerungen Rudolf Steiners, die ihn zur Einsicht in die Notwendigkeit

eines vernünftigen Gesellschafts- und Wirtschaftskundeunterrichts

an Waldorfschulen geführt haben. Moosmanns Schrift ist von mir gleich nach ihrem Erscheinen gelesen und auf der Webpage von www.das-seminar.ch zum Studium empfohlen worden.

Übrigens meint Moosmann zu dem von Kullak in seinem Leserbrief favorisierten Finanzierungsmodell der Zeitschrift „Erziehungskunst“:

«Die Redaktion von www.dreigliederung.de teilt die Auffassung von Stefan Böhme, wonach eine über das Schulgeld automatisierte Finanzierung eines Redaktionsstabs eine systematische Verhinderung der Freiheit darstellt und in einem krassen Widerspruch zu den von Rudolf Steiner im Zusammenhang mit der Gründung der freien Waldorfschule entwickelten Idee eines freien Geisteslebens steht.» (Johannes Moosmann in http://www.dreigliederung.de/essays 2011-12-003.html)

Was war noch? - Ach ja, Kullak gab mir den Rat, nicht zu lamentieren, sondern mich aufzuklären. Und

Aufklärung wäre, daß man die Instrumente kennenlernt, mittels derer man heute etwas tun kann. Dazu können die Grundbegriffe der Dreigliederung einen brauchbaren Rahmen abgeben, aber auch die bedürfen einer genauen Kenntnis der parlamentarischen, außerparlamentarischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ordnungsprinzipien unserer Gesellschaften.

- Auch hierbei sei Kullak unbesorgt. Wer selbst im Gründungskollegium einer Waldorfschule jahrelang mitgewirkt hat und überdies über zwei Jahrzehnte Lehrerfahrung an Staatsschulen verfügt, hat einiges über die Ordnungsprinzipien unserer Gesellschaften in Erfahrung bringen können.

Der vorliegende Problemfall wäre aufgrund des menschlichen Grundpotentials einfach zu lösen. Wenn sich der Bund der Waldorfschulen für das soziale Leben mehr als für den Erhalt ihrer Pfründe einsetzen würde, dann sollten sie diejenigen Lehrer und Schüler unterstützen, die mit so einem mutigen Menschen wie Jebsen (ich übernehme die von Grauberger zu Recht herausgestrichene Tugend) in Austausch treten wollen. Damit sich jeder der Erlauchten prüfe, ob er Jebsen etwa dabei helfen kann, sich die offensichtlichen Ergänzungsnotwendigkeiten, die für jeden Menschen bestehen, bewußt machen zu können. Dazu ist nur etwas konkrete Liebe und natürlich grundsätzliches Interesse für alle Erscheinungen des Menschengeschlechts notwendig.

Also kommen wir nochmals auf die Tugenden zu sprechen. Der Philosoph Plato unterschied bekanntlich Gerechtigkeit, Besonnenheit, Mut und Weisheit. Für Mut und Gerechtigkeitsempfinden gebe ich Jebsen eine sehr gute Note, bei Besonnenheit und Weisheit gibt’s einen kleinen Abzug. (Ganser würde von mir eine höhere Note in „Besonnenheit und eine niedrigere in Mut erhalten. Ganz gefühlsmäßig.)

Versteht man, was ich meine? - Diejenigen, die den wirklichen Geist des freien Geisteslebens vertreten wollen, werden sich überall bemühen, die Ausdrucksformen der Menschlichkeit im andern zu erkennen und das zu Ergänzende zu fördern. Wenn nicht, werden wir immer nur den Verschwörungsforscher Steiner (man kann auch Okkultist sagen) im nachhinein bestätigen müssen.

Wie war das mit der Infiltration der Waldorfschulen mit Nazi-Gedankentum in den 30-er Jahren? Waren das alles Unmenschen, die ihre jüdischen Kollegen stillschweigend haben verschwinden sehen? Sicherlich nicht. Doch haben sie sich nie in die Lage gebracht, ihre wirklichen Prioritäten auf die geistige Waagschale legen zu müssen. Jebsen hat es in seinem Überlinger Vortrag so ausgedrückt:

Hättest du Sophie Scholl unterstützt oder wärst du Hitlers Sekretärin geworden?

- Wem der Vergleich völlig abwegig erscheint, der möge bedenken, daß er nicht inhaltlich, sondern tendenziell gemeint ist. Es ist einfach eine Denkunmöglichkeit, einen von einer „Schülermitverwaltung“ eingeladenen Gast im Vorfeld der Begegnung als Demagogen, das heißt als Verführer (und wenn auch bloß im Zuschnitt eines Rattenfängers von Hameln) zu verunglimpfen, der überdies in allem, was er sagt und tut, zum Ausdruck bringt, daß er hilflos ist, allein etwas zu unternehmen. Was auch die Göppinger Kreisnachrichten durch eine junge Frau feststellen ließ, die etwas ungeschickt ausgedrückt meinte:

 Das Gruselige an dem Typ ist, daß er nicht damit herausrückt, was er eigentlich will.

- Die Dame wollte verführt werden, nachdem man ihr schon gesagt hat, daß „der Typ“ ein Verführer wäre, und dann - man stelle sich vor - kommt sie nicht drauf, zu was.

Herr Kullak hat in seiner Rundmail an alle Waldorfschulen Deutschlands vom 10. Juli 2015 geschrieben:

Wir möchten Sie daher nachdrücklich bitten, unsere pädagogische und gesellschaftliche Verantwortung nicht im Namen eines vermeintlichen freien Geisteslebens zu konterkarieren, das mit der eigentlichen Bedeutung dieses Begriffes gar nichts, mit Demagogie aber sehr viel zu tun hat.

- Gewiß ist es kein Judenstern, der da Ken Jebsen auf die mentale Stirn gemalt wird, doch mit dem unwirklich Ausgrenzenden, das in jener Beurteilung steckt, ist das „freie Geistesleben“ bereits empfindlich konterkariert worden. Denn jene verschwörerische Vorverurteilung unterdrückt die individuelle Erkenntnis (ohne Begegnung mit der Wahrnehmung keine Erkenntnis, das hat auch jeder pädagogisch und gesellschaftliche Verantwortung Tragende schon irgendwo mal gelesen).

Zum Schluß eine Hilfestellung für denjenigen, der sich ein dickes Sitzleder in langen Konferenzen und die damit verbundene Berufsqualität meditativer oder immerhin Präsenz bestätigender Geduldsproben anerzogen hat, und deshalb das vom Ex-Waldorfschüler Jebsen Vorgebrachte auf seine charakterologische Anlage zu ungestüm auftrifft. Ihm sei etwas Wirtschafts- und Gesellschaftskunde vom 86-jährigen Noam Chomsky, dem vermutlich bekanntesten amerikanischen Intellektuellen und Professor des MIT zur gedanklichen Aufnahme empfohlen. Er spricht langsam und ganz leise. Hier:

http://www.euronews.com/2015/04/17/chomsky-says-us-is-world-s-biggest-terrorist/

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Mit freundlicher Begrüßung,
Reto Andrea Savoldelli

Samstag, August 01, 2015

Freiheitsphilosophie in der Waldorfschule

DE_G_Goethe_Versklavung

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Reto Andrea
Autor:
Reto Andrea Savoldelli

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Die Herstellung der Monatszeitschrift für Waldorfpädagogik „Erziehungskunst“ wird weitgehend von den Waldorfschulen finanziert. Dies aufgrund eines Beschlusses einer Mitgliederversammlung der Waldorfschulen vom März 2009. Die Zeitungen werden an die Schulsekretariate gesandt und die Schule gibt an jedes Elternhaus ein Exemplar weiter.

Nun gab es 2011 einen Fall, wo die Lehrerschaft die Zeitschrift nicht mehr automatisch mit der Schulpost verteilte, weil sie mit etlichen Artikeln der Zeitschrift grundsätzlich nicht einverstanden war. Was dann zu einer Klage einer Mutter beim Vorstand des Bundes der deutschen Waldorfschulen führte, auf die Vorstandsmitglied und Pressesprecher Henning Kullak-Ublik in dem Artikel in der „Erziehungskunst“ (Juli 2011) „Ich lese was, was Du nicht siehst“ einging. Selbstverständlich waren die Lehrer mit ihrer Willkür, die ungefragte Auslieferung der „Schulzeitung“ zu verhindern, im Unrecht, gleichgültig, ob und wie sie dies damals den Eltern mitgeteilt haben.

Darauf erschien Ende 2011 ein Beitrag von Stephan Böhme auf der Website des Berliner Instituts für soziale Dreigliederung, der die grundsätzliche Forderung Rudolf Steines nach Unabhängigkeit der Schulen von den staatlichen Behörden in Erinnerung rief und sie mit dem „Zeitungsvorfall“ in Beziehung brachte. (Siehe http:// www.dreigliederung.de/essays/2011-12-003.html)  

Er schrieb:

…. Aus dem Ganzen wird auch klar, warum in der «Erziehungskunst» kaum Themen bearbeitet werden, welche die gesunden Bedingungen freien Bildungswesens verständlich machen. Eines in die Gesellschaft (und nicht in den Staat) eingebetteten und von freien Menschen getragenen Geisteslebens. Statt den bestehenden Mißstand über die Jahre zumindest klar zu kennzeichnen und den übergriffigen politischen Instanzen mutig öffentlich den Krieg zu erklären, hat man sich um des lieben Geldes willen schon vor langem entschlossen, den Weg der pragmatischen Anpassung zu beschreiten und glaubt nun, mit dem Erlangen der Bachelor- und Masterwürden für immer mehr Waldorflehrer Siege feiern zu können. Deshalb wird zumeist übersehen, daß die Zentralisierung, d.h. auch die staatliche Überregulierung unseres Bildungswesens, zur Folge hat, daß an den Schulen kaum mehr Zeit, Kraft und Wille für geistige Arbeit in den Konferenzen verbleibt und stattdessen allzuoft «Programm» erfüllt werden muß, welches die Lehrer immer mehr in Bürokratie und Organisatorischem zu ersticken droht. Sonst könnte von Lehrer-, aber auch Elternseite aus vielleicht viel mehr in geistvolle, anregende, belebende Texte für Schulzeitungen verschiedenster Art fließen. In die durch diese leidlichen Umstände entstandene geistige Lücke stößt eine derart finanzierte «Erziehungskunst», die immer mehr zum Zentralorgan gerinnt. Wieviel bunter wäre es, wenn stattdessen um die einzelnen Schulen im engen Kontakt der Menschen untereinander ein reicher geistiger Austausch entstünde…

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Nun hat sich vor kurzem der genannte Pressebeauftragte des Bundes deutscher Waldorfschulen in einem Brief an alle Schulleitungen gewandt, in dem er sie bittet, vermehrt ein Auge auf ihre Schüler zu werfen, weil diese sich zunehmend von Verschwörungstheoretikern ihr politisches Wissen erwerben würden, also nicht durch den Spiegel, die Süddeutsche, die Mitteilungen der Adenauer-Stiftung oder die Wochenschrift „Das Goetheanum“.

Er äußert sich besorgt um die geistige Freiheit "uns anvertrauter Individualitäten", deren Schicksal es ist, wie es im Jargon heißt, sich in den schweren Zeiten ahrimanischer Hochblüte inkarniert zu haben. Deshalb sollten wir sie vor unüberlegten Initiativen warnen, besonders, wenn man bedenkt, daß ihr ewiges ICH ja erst mit 21 Jahren selbstverantwortlich in die Hüllen einzugreifen in der Lage ist. - Man kann und muß es auch anders sehen können. Wenn ohne rückhaltlose Gedankenfreiheit (die einer fremden Anschauung einzuräumen Rudolf Steiner von denjenigen forderte, die an wirklichem Frieden interessiert sind), jede Kultur in Barbarei versinken muß, wie muß man denn den Versuch beurteilen, der Initiativen von jungen Menschen behindern will (durch Verbot der Raumbenutzung von Waldorfschulen), die einen viel entwickelteren Einblick in die wirkliche Politik zu besitzen scheinen, als sie der besorgte Herr "Systemfreund" von oben zu unterstützen wünscht?

Und woher kommt die Besorgtheit um die Jugend? Könnte es nicht sein, daß das Sprichwort „Niemand beißt die Hand, die ihn füttert“ sehr wohl auf diesen Fall anwendbar wäre? Daß man instinktiv zu verhindern sucht, daß sich die politische Aufklärung der „eigenen“ Zöglinge dahin gehend auswirken könnte, daß sie zur Destabiliserung der gegenwärtigen Regierung beitragen könnte? So wie dies etwa Ken Jebsen, selbst ehemaliger Waldorfschüler, erfolgreich im Netz anstrebt? Für dessen Vortrag die Aula zu benutzen, wozu ihn die Elternvertretung einer Waldorfschule eingeladen hatte, hat die Schulleitung ausdrücklich abgelehnt. Der hörenswerte, in einen anderen Saal Überlingens verlegte Vortrag, ist hier zu sehen:

https://www.youtube.com/watch?v=egDCBMpPUqc 

Vor Ken Jebsen, eigentlich einem der wenigen Vorzeige-Waldorfschüler, warnt Henning Kullak-Ublik ausdrücklich. Denn so wie sich die Freiheit durch Ken Jebsen äußert, war Henning Kullaks „Erziehung zur Freiheit“ offensichtlich nicht gemeint. Doch warnt er in dem genannten Brief auch vor dem Nichtwaldorfschüler Kilez More:

".... Kürzlich wurde auch der österreichische Rapper Kilez More, der sich selbst als „Systemfeind“ bezeichnet und wie Ken Jebsen Verschwörungstheorien verbreitet, von einer Schülergruppe eingeladen...." (H.Kullak in seinem Schreiben) Hier das Video des gefürchteten Verschwörungstheoretikers „Leben und Tod des Imperialismus“: https://www.youtube.com/watch?v=M7IjJiZUutk  

Die Waldorfpädagogik trägt, insofern man ihre Wurzeln in den Anschauungen Rudolf Steiners verfolgt, gewiß das größte revolutionäre Potential aller alternativen, pädagogischen Praktiken in sich. Diesem zur Entwicklung zu verhelfen, verbindet sich für einen beamteten Funktionär einer solchen Freiheitsbewegung von dem Punkt an mit Schwierigkeiten, wo die Grundlage seiner Macht, für die Freiheit einzutreten - nämlich die autoritative Fürsorge des Staates - kritisiert wird.

DE_QE_geistelnder_Schwachsinn

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(obiges Vondorten-Zitat wurde ausgewählt und eingefügt von
Raymond Zoller)

Doppelnas