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Die Herstellung der Monatszeitschrift für Waldorfpädagogik „Erziehungskunst“ wird weitgehend von den Waldorfschulen finanziert. Dies aufgrund eines Beschlusses einer Mitgliederversammlung der Waldorfschulen vom März 2009. Die Zeitungen werden an die Schulsekretariate gesandt und die Schule gibt an jedes Elternhaus ein Exemplar weiter.
Nun gab es 2011 einen Fall, wo die Lehrerschaft die Zeitschrift nicht mehr automatisch mit der Schulpost verteilte, weil sie mit etlichen Artikeln der Zeitschrift grundsätzlich nicht einverstanden war. Was dann zu einer Klage einer Mutter beim Vorstand des Bundes der deutschen Waldorfschulen führte, auf die Vorstandsmitglied und Pressesprecher Henning Kullak-Ublik in dem Artikel in der „Erziehungskunst“ (Juli 2011) „Ich lese was, was Du nicht siehst“ einging. Selbstverständlich waren die Lehrer mit ihrer Willkür, die ungefragte Auslieferung der „Schulzeitung“ zu verhindern, im Unrecht, gleichgültig, ob und wie sie dies damals den Eltern mitgeteilt haben.
Darauf erschien Ende 2011 ein Beitrag von Stephan Böhme auf der Website des Berliner Instituts für soziale Dreigliederung, der die grundsätzliche Forderung Rudolf Steines nach Unabhängigkeit der Schulen von den staatlichen Behörden in Erinnerung rief und sie mit dem „Zeitungsvorfall“ in Beziehung brachte. (Siehe http:// www.dreigliederung.de/essays/2011-12-003.html)
Er schrieb:
…. Aus dem Ganzen wird auch klar, warum in der «Erziehungskunst» kaum Themen bearbeitet werden, welche die gesunden Bedingungen freien Bildungswesens verständlich machen. Eines in die Gesellschaft (und nicht in den Staat) eingebetteten und von freien Menschen getragenen Geisteslebens. Statt den bestehenden Mißstand über die Jahre zumindest klar zu kennzeichnen und den übergriffigen politischen Instanzen mutig öffentlich den Krieg zu erklären, hat man sich um des lieben Geldes willen schon vor langem entschlossen, den Weg der pragmatischen Anpassung zu beschreiten und glaubt nun, mit dem Erlangen der Bachelor- und Masterwürden für immer mehr Waldorflehrer Siege feiern zu können. Deshalb wird zumeist übersehen, daß die Zentralisierung, d.h. auch die staatliche Überregulierung unseres Bildungswesens, zur Folge hat, daß an den Schulen kaum mehr Zeit, Kraft und Wille für geistige Arbeit in den Konferenzen verbleibt und stattdessen allzuoft «Programm» erfüllt werden muß, welches die Lehrer immer mehr in Bürokratie und Organisatorischem zu ersticken droht. Sonst könnte von Lehrer-, aber auch Elternseite aus vielleicht viel mehr in geistvolle, anregende, belebende Texte für Schulzeitungen verschiedenster Art fließen. In die durch diese leidlichen Umstände entstandene geistige Lücke stößt eine derart finanzierte «Erziehungskunst», die immer mehr zum Zentralorgan gerinnt. Wieviel bunter wäre es, wenn stattdessen um die einzelnen Schulen im engen Kontakt der Menschen untereinander ein reicher geistiger Austausch entstünde…
Nun hat sich vor kurzem der genannte Pressebeauftragte des Bundes deutscher Waldorfschulen in einem Brief an alle Schulleitungen gewandt, in dem er sie bittet, vermehrt ein Auge auf ihre Schüler zu werfen, weil diese sich zunehmend von Verschwörungstheoretikern ihr politisches Wissen erwerben würden, also nicht durch den Spiegel, die Süddeutsche, die Mitteilungen der Adenauer-Stiftung oder die Wochenschrift „Das Goetheanum“.
Er äußert sich besorgt um die geistige Freiheit "uns anvertrauter Individualitäten", deren Schicksal es ist, wie es im Jargon heißt, sich in den schweren Zeiten ahrimanischer Hochblüte inkarniert zu haben. Deshalb sollten wir sie vor unüberlegten Initiativen warnen, besonders, wenn man bedenkt, daß ihr ewiges ICH ja erst mit 21 Jahren selbstverantwortlich in die Hüllen einzugreifen in der Lage ist. - Man kann und muß es auch anders sehen können. Wenn ohne rückhaltlose Gedankenfreiheit (die einer fremden Anschauung einzuräumen Rudolf Steiner von denjenigen forderte, die an wirklichem Frieden interessiert sind), jede Kultur in Barbarei versinken muß, wie muß man denn den Versuch beurteilen, der Initiativen von jungen Menschen behindern will (durch Verbot der Raumbenutzung von Waldorfschulen), die einen viel entwickelteren Einblick in die wirkliche Politik zu besitzen scheinen, als sie der besorgte Herr "Systemfreund" von oben zu unterstützen wünscht?
Und woher kommt die Besorgtheit um die Jugend? Könnte es nicht sein, daß das Sprichwort „Niemand beißt die Hand, die ihn füttert“ sehr wohl auf diesen Fall anwendbar wäre? Daß man instinktiv zu verhindern sucht, daß sich die politische Aufklärung der „eigenen“ Zöglinge dahin gehend auswirken könnte, daß sie zur Destabiliserung der gegenwärtigen Regierung beitragen könnte? So wie dies etwa Ken Jebsen, selbst ehemaliger Waldorfschüler, erfolgreich im Netz anstrebt? Für dessen Vortrag die Aula zu benutzen, wozu ihn die Elternvertretung einer Waldorfschule eingeladen hatte, hat die Schulleitung ausdrücklich abgelehnt. Der hörenswerte, in einen anderen Saal Überlingens verlegte Vortrag, ist hier zu sehen:
https://www.youtube.com/watch?v=egDCBMpPUqc
Vor Ken Jebsen, eigentlich einem der wenigen Vorzeige-Waldorfschüler, warnt Henning Kullak-Ublik ausdrücklich. Denn so wie sich die Freiheit durch Ken Jebsen äußert, war Henning Kullaks „Erziehung zur Freiheit“ offensichtlich nicht gemeint. Doch warnt er in dem genannten Brief auch vor dem Nichtwaldorfschüler Kilez More:
".... Kürzlich wurde auch der österreichische Rapper Kilez More, der sich selbst als „Systemfeind“ bezeichnet und wie Ken Jebsen Verschwörungstheorien verbreitet, von einer Schülergruppe eingeladen...." (H.Kullak in seinem Schreiben) Hier das Video des gefürchteten Verschwörungstheoretikers „Leben und Tod des Imperialismus“: https://www.youtube.com/watch?v=M7IjJiZUutk
Die Waldorfpädagogik trägt, insofern man ihre Wurzeln in den Anschauungen Rudolf Steiners verfolgt, gewiß das größte revolutionäre Potential aller alternativen, pädagogischen Praktiken in sich. Diesem zur Entwicklung zu verhelfen, verbindet sich für einen beamteten Funktionär einer solchen Freiheitsbewegung von dem Punkt an mit Schwierigkeiten, wo die Grundlage seiner Macht, für die Freiheit einzutreten - nämlich die autoritative Fürsorge des Staates - kritisiert wird.
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(obiges Vondorten-Zitat wurde ausgewählt und eingefügt von
Raymond Zoller)
2 Kommentare:
Herr Salvodelli, es ist ja ganz schön, mal Dampf abzulassen und ein bisschen Polemik schadet auch nichts. Aber richtig zitieren sollten Sie dabei schon. In meinem Brief ist weder von den Inkarnationsbedingungen der heutigen Jugend die Rede noch davon, man solle ihr mehr auf die Finger schauen - und schon gar nicht, damit sie keine kritischen Fragen stellt. Im Kern geht es vielmehr darum, dass ich dafür plädiert habe, dass an Waldorfschulen endlich ein vernünftiger Gesellschafts- und Wirtschaftskundeunterricht stattfinden sollte, der die SchülerInnen befähigt, sich auf der Grundlage "belastbarer Kenntnisse" mit der Zeit, in der sie leben, auseinanderzusetzen. In diesem Kontext habe ich geschrieben, man solle sich nicht an Stelle einer solchen Aufklärung "unreflektiert irgendwelche Verschwörungstheoretiker ins Haus holen" - ganz gleich ob Lehrer oder Schüler. Die Betonung liegt dabei auf "unreflektiert". Dass ich das an Ken Jebsen festgemacht haben, können Sie ja gerne kritisieren, aber wenigstens sollte der Kontext stimmen. Wenn Sie das wirklich lesenswerte Büchelchen "Wirtschaft und soziale Dreigliederung im Lehrplan der Waldorfschule" von Johannes Mosmann (http://www.dreigliederung.de/publish/) lesen, werden Sie sehen, dass Steiner das von Ihnen völlig zu Recht als revolutionär bezeichnete "Potenzial" der Waldorfschule auch an dieser Stelle sah. Davon sind wir aber weit entfernt und: Das Lamentieren über "die da oben" ändert daran rein gar nichts - Aufklärung wäre, dass man die Instrumente kennenlernt, mittels derer man heute etwas tun kann. Dazu können die Grundbegriffe der Dreigliederung einen brauchbaren Rahmen abgeben, aber auch die bedürfen einer genauen Kenntnis der parlamentarischen, außerparlamentarischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ordnungsprinzipien unserer Gesellschaften.
Zu der von Ihnen zitierten Auseinandersetzung um die "Erziehungskunst" füge ich hier einen Link zu meiner damaligen Antwort ein: http://www.dreigliederung.de/essays/2012-03-001.html. Ich würde das heute noch um den Aspekt ergänzen, dass ich das Finanzierungsmodell der Erziehungskunst inzwischen für eine Möglichkeit halte, den freien Journalismus überhaupt zu retten: Das ist ein vergleichbares Verfahren zu vielen biologisch-dynamischen Hofgemeinschaften, deren Arbeit überhaupt erst durch feste Beiträge ermöglicht wird. In einer Zeit, in der der freie Journalismus aus vorwiegend kommerziellen Gründen extrem gefährdet ist (fragen Sie Ken Jebsen ...), könnte eine solche Grundfinanzierung den freien Journalismus retten. Und um es an dieser Stelle gleich zu sagen: Die Redaktion der Erziehungskunst ist frei - eine Hauptaufgabe meiner Herausgeberschaft besteht darin, ihr dafür den Rücken frei zu halten.
Henning Kullak-Ublick
Die Fortsetzung, die gleichzeitig eine Antwort auf obigen Kommentar enthält, siehe http://klamurkisches.blogspot.gr/2015/08/wo-findet-freies-geisteslebens-statt.html
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