Mittwoch, März 03, 2010

Veröffentlichung und Gemeinschaftsbildung

DE_E_Schreiben_fuer_Seinesgleichen

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Die ganz natürliche Konsequenz unselbständigen Denkens ist Autoritätshörigkeit und Dogmatismus. Denn irgendwie muß man sich vom Zusammenhang der umgebenden Dinge ja ein Bild machen; und wenn das eigene Denken nicht stark genug ist oder wenn man seinen Möglichkeiten nicht traut, so muß man sich an das halten, was andere einem vorsagen. Mag dieses Bild auch bloß eine Fata Morgana sein – es vermittelt immerhin Sicherheit; und die Sicherheit des in seine Fata Morganas eingepanzerten Dogmatikers ist mitunter so beträchtlich, daß er jeden Denkenden damit plattwalzt und völlig verdattert hinter sich zurückläßt. Denn der Dogmatiker fühlt sich eingebettet in die machtvolle Gemeinschaft seiner Mitdogmatiker, während der Denkende mit seinem Denken ganz alleine ist.

Rein „Denkende“ gibt es sowieso kaum; wir leben alle in unseren Panzern aus Vorgedachtem; aber es gibt nun mal Menschen, die sich in diesen Panzern häuslich eingerichtet haben und gar nichts anderes mehr wollen, und nicht einmal ahnen, daß man noch etwas darüber hinaus wollen könnte; und es gibt solche, die daneben auch noch denken können und mitunter sogar klar unterscheiden, wo sie denken und wo sie nicht denken. Letztere wollen wir, der Einfachheit halber, abkürzend als „Denkende“ bezeichnen.

(Damit keine Mißverständnisse entstehen: dem Verfasser vorliegender Zeilen ist nicht unbekannt, daß man sich in Lautkombinationen wie „Denken“, „lebendiges Denken“, „seelische Beobachtung“ usw… genau gleich einlullen kann wie in andere Wörterlarven auch. Das ist nicht gemeint. Der Geist weht wo er will…)

Gemeinschaftsbildung aufgrund dogmatischer Vorgaben funktioniert sehr einfach und übersichtlich, und ihre Resultate sind äußerst stabil: wie ein unerschütterlicher Mechanismus aus unbiegsamen Metallteilen steht das vor den erbärmlichen zum Denken neigenden Einzelnen; und selbst wenn der Mechanismus nicht richtig funktionieren sollte, weil bei seiner Konstruktion irgendwas übersehen wurde, so spielt das weiter keine Rolle, da die ihn bildende Masse – auf die es letztendlich ankommt – das sowieso nicht merkt; für die Masse reicht es, daß sie Masse ist: „hart wie Kruppstahl“ sozusagen.

Gemeinschaftsbildung „aus dem Denken heraus“ funktioniert ganz anders, und ihre Funktionsweise ist bislang nur wenig bekannt (und das Wenige, was bislang erforscht wurde, wurde dann in der Folge so wüst zerredet, daß kein Schwein sich mehr zurechtfindet). Um den Unterschied zwischen Denken und Nichtdenken herauszuarbeiten müßte man sehr weit ausholen (wobei eine theoretische Bestimmung sowieso kaum möglich wäre; es könnte höchstens darum gehen, daß man versucht, den Einzelnen so weit zu sensibilisieren, daß er erst mal in den Facetten seiner eigenen Weltsicht auf den Unterschied aufmerksam wird; denn det iss schon eine sehr individuelle Angelegenheit, die sich nicht mit dem Hammer autoritativer Beweisführung bewerkstelligen läßt). Wer noch nicht ganz eingeschlafen ist dürfte den Unterschied zumindest ahnen.

Kommen wir nach diesem sehr langen Vorspann – aber kürzer ging es beim besten Willen nicht – zu unserem Thema: Veröffentlichung und Gemeinschaftsbildung. Gewissermaßen als Fortsetzung und eines der „Fazite“ meines letzten Blogeintrags.

In besagtem Eintrag findet man die Aussage:

Die Zielgruppe meiner Schreiberei beschränkt sich auf die Sphäre derjenigen, die etwas damit anfangen können; schriftstellerischen Ruhm im Sinne der heutigen Auffassung strebe ich nicht an, im Gegenteil würde ich ihn sogar als störend empfinden, da solcher Ruhm die Sphäre der ehrlich Interessierten aufsprengen würde in Richtung auf ein Publikum, das sich für nichts interessiert und nur mitreden möchte; wodurch alles verwässert würde.

Es geht hier ausdrücklich nicht um die Resultate meiner Schreiberei (die einen mögen sie, andere mögen sie nicht; doch das soll uns hier egal sein), sondern um die in diesen Zeilen umrissene Bewußtseinshaltung: Wer det so sieht – ob ich det bin oder jemand anders – der schreibt, was er schreiben möchte, veröffentlicht, was er veröffentlichen möchte; und als Leser hat er dabei nur diejenigen im Auge, die seinem Geschreibe, ganz egal aus welchen Gründen, ganz egal auf welcher Ebene ein ehrliches, elementares Interesse abgewinnen; während er oberflächliche, desinteressierte Leser eher als störend empfinden würde.

Auf solche Weise entstehen, auch wenn man sich gegenseitig nicht kennt, gewissermaßen geistig-seelische Gemeinschaften.

Im Prinzip war das von jeher die Haltung derjenigen Schreiber, denen es „ernst war, was zu sagen“; wegen des heutigen kulturellen Verfalls, wegen der Einmischung von Finanz und Politik in das Veröffentlichungsgeschehen und durch die dank dem Internet neuentstandenen Möglichkeiten bricht sich diese an sich normale Haltung bloß in metamorphierter Form ihre Bahn. Unter den spezifischen totalitären Bedingungen der inzwischen liquidierten Sowjetunion war das zum Beispiel das Samisdat; unter den sehr viel komplizierteren Bedingungen des Zusammenspiels relativer äußerer Freiheit und extremer innerer Unfreiheit – die Veröffentlichungen im Internet.

Nach den dogmatischen Vorgaben vor allem im deutschsprachigen Bereich darf man als richtigen, ernstzunehmenden Schriftsteller nur denjenigen bezeichnen, der Veröffentlichungen vorweisen kann in einem richtigen, offiziellen Verlag. Zeitgenossen, die auf autoritative Vorgaben angewiesen sind, wissen somit genau, woran sie sich zu halten haben. – Wenn man sich nun die Resultate dieses ernstzunehmenden Verlagslebens genauer anschaut, so hat man mitunter Schwierigkeiten, da irgendwas zu finden, mit dem man sich ehrlich verbinden könnte; und irgendwann hört man auf, diese Dinge überhaupt mitzuverfolgen. – Dies ist ja alles weiter nicht schlimm: Die dogmatisch orientierten haben ihre Spielwiese, wo sie „mitreden“ können, während die mehr an „Substanz“ orientierten Schreiber und Leser das Internet haben. Hier ist nun natürlich auch nicht alles Gold, was glänzt; ein wüstes Durcheinander ist das; aber immerhin: mit gezielter Suche und etwas Glück kann man auf „Substanz“ treffen. – Daß die an ihrem System festklebenden aktiven und passiven Akteure der Druckerschwärzewelt solchen außerhalb ihrer Konstrukte ablaufenden Veröffentlichungsbetrieb nicht anerkennen, ist nur konsequent, überhaupt nicht schlimm und hat im Gegenteil sogar gewisse positive Züge, da man so mehr unter sich bleibt, unbehelligt von bildungsphilisterhafter Literaturkritik und von Leuten, die bloß „mitreden“ wollen.

Lästig bei alledem ist bloß, daß manche Schreiber, die es vielleicht besser könnten, immer noch zu sehr nach diesem verhärteten künstlichen Konstrukt des offiziellen Kulturbetriebs schielen, an dem sie eigentlich gerne teilnehmen würden und nur nicht teilnehmen, weil man sie nicht läßt; und dadurch werden ihre Gedanken verwässert, ihre Entwicklung erschwert. Die Hauptgefahr liegt im unreflektierten persönlichen Ehrgeiz, der eine Affinität schafft zu diesen Morästen und selbige eben dadurch zu einer Gefahr werden läßt für die kulturelle Entwicklung; für sich genommen sind sie eher harmlos.

Wo der Ehrgeiz beiseitebleibt – egal, ob er sich im Schriftstellerseinwollen äußert oder im Mitredenwollen – wird nur geschrieben und gelesen, was man selbst als „Sache“ empfindet (müssen ja nicht alle das gleiche als „Sache“ empfinden) – und dadurch entstehen, aus einem gewissen gegenseitigen Verständnis heraus, sich überschneidende lockere oder stärkere „Gedankengemeinschaften“, „Erlebensgemeinsaften“.

Das ist nicht neu; im Grunde war das noch immer so.

Zum Beispiel: Der für mich wichtigste Autor unter den mehr oder weniger zeitgenössischen ist Solschenizyn. Zu den schon länger zurückliegenden Zeiten, als er als Politikum, als politische Sensation gehandhabt wurde und als alle über ihn redeten – verhielt ich mich ihm gegenüber mißtrauisch bis ablehnend (obwohl ich damals die Künstlichkeit des Kulturbetriebs noch nicht in dem Maße durchschaut hatte, wie das heute der Fall ist; und mir scheint, daß das damals auch noch nicht ganz so schlimm war). Aus verschiedenen Gründen ergab sich die Notwendigkeit, daß ich mich stärker in seine Sachen einlese; und da merkte ich: daß da Substanz ist, welche mit dem um seine Person veranstalteten Hokuspokus herzlichst wenig zu tun hat. Das Hokuspokus ebbte ab, die deutschen Übersetzungen seiner Werke wurden schließlich verramscht: er war aus der Mode gekommen. Und ich, der ich die in seinen Werken lebende Substanz entdeckt hatte, scherte mich nicht darum (auf die verramscht werdenden Übersetzungen war ich zum Glück nicht angewiesen). Auch in Rußland kam er, als man ihn ganz offen lesen durfte, in den neunziger Jahren aus der Mode; veröffentlicht wurde er, wenn überhaupt, in lächerlichen Winzig-Auflagen. Und wie er früher, zu Sowjetzeiten, auf das Samisdat auswich – so wich er nun auf das Internet aus. Die in Kleinstauflagen herausgegebenen zahllosen Bände des „Roten Rades“ hatte ich mir irgendwann verschaffen können; bei meinem Wanderleben blieben sie dann irgendwo zurück und waren, außer im Internet, nicht mehr aufzutreiben. Von dorten lud ich mir das alles herunter, druckte es aus; und diese ganzen Bände habe ich nun in Form von Aktenordnern (ich tat das nicht aus Sammelwut, sondern weil mich doch tatsächlich immer wieder das Bedürfnis befällt, darin zu lesen).

– Solschenizyn ist in vorliegendem Zusammenhang noch aus dem Grunde interessant, weil er das Vergnügen hatte, sich in verschiedenen Situationen mit jeweils spezifischen Mitteln behelfen zu müssen: In den durch Zensur gesteuerten sowjetischen Bedingungen durch Samisdat auf Papier; unter den durch diktatorische Modeströmungen, wirre Gleichgültigkeit, finanzielle Interessen usw…. gesteuerten späteren Bedingungen: durch Samisdat im Internet. – Wobei noch festzuhalten sei, daß Solschenizyn sich nie als „Dissidenten“ betrachtete und sich auch gegen solche Bezeichnung wehrte. Er sagte einfach, was er zu sagen hatte, brachte es unter der jeweils möglichen Form unter die Leute; und fertig. Wen es interessierte – der las es; wen es nicht interessierte – der ließ es sein.

Mögen denn alle det so tun.

Prost
Raymond

Doppelnas

p.s. Um den gedanklichen Faden richtig herauszuarbeiten, hätte ich viel ausführliche werden müssen. Für einen Blogeintrag wäre det dann aber, wie mir auffiel, viel zu lang worden. Drum: Lassen wir es denn mal so, wie es ist. So jemand Wert darauf legen sollte, kann ich es ausarbeiten.

nochmal:
Prost
Doppelnas

Nachbemerkung

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf anschauen und/oder herunterladen kann.

Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."

Doppelnas

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