Eben: es kriselt weiter.
Den einen geht’s noch gut. Die können dann in wohligem Behagen lesen, was die Massenmedien über die Krise schreiben und dann darüber diskutieren und theoretisieren; genauso wie einstens in behaglicher Muße sie über den Krieg in Georgien allen möglichen Unsinn verzapften, oder über das Blutvergießen im Irak und in Afghanistan:
„Nichts bessres weiß ich mir an Sonn-und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
wenn hinten, weit, in der Türkei,
die Völker aufeinanderschlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus,
und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
dann geht man abends froh nach Haus
und segnet Fried und Friedenszeiten“
(iss von Goethe, aus dem Faust)
Wobei, so lange es einem selbst gut geht, irgendwelche nicht mehr aus und ein wissende Nachbarn, irgendwelche im Umkreis sich mühsam am Abgrund entlanghangelnde „Freunde“ im Prinzip genau so weit weg sind wie diese sich unter irgendeinem Superdemokraten abquälenden Georgier, die von den Amerikanern gerettet werdenden Iraker oder irgendwo im Busch vor sich hin hungernde Afrikaner: fast schon auf dem Mond, wenn nicht noch weiter… So lang es einem selbst gut geht, bleibt die Not reine Theorie, und von der Not betroffene Mitmenschen verlieren den menschlichen Status und verwandeln sich in irgendwelche blassen, uninteressanten in dieser theoretischen Krisenwelt beheimatete Gestalten.
So lange zumindest, bis es einen selbst trifft.
Wenn es einen selbst trifft und die Krise von im Kopfe verbleibender Theorie zu der Seele Schmerzen bereitender Realität wird - ist es dann meistens zu spät: der aus dem Wohlstand gebraute Klebstoff, der das Surrogat eines sozialen Zusammenhalts, eines Miteinander schuf, hält einen nicht mehr, und man fällt aus diesem künstlichen Zusammenhalt hinaus zu diesen blassen theoretischen Schemen, die man vorher nicht wahrnehmen wollte.
Nun sind plötzlich alle Krücken weg; man ist ganz alleine; und es ist ganz natürlich, daß Menschen, die nicht alleine gehen gelernt haben und außer den bekannten Gemeinschaftssurrogaten keine zwischenmenschlichen Beziehungen kennen, in der nun plötzlich hereingebrochenen Einsamkeit und Hilflosigkeit den Faden verlieren.
Manche fügen sich brav in ihr Schicksal; lernen nach und nach vielleicht sogar was und entwickeln sich zu selbständig denkenden, sozial fähigen Menschen; andere hinwiederum drehen, wie man so sagt, durch…
Und mit vor besagtem Hintergrund „durchdrehenden“ wird man, fürchte ich, nun immer mehr zu tun bekommen; und wenn es dann im Weiteren zu Zusammenrottungen von „Durchgedrehten“ kommt, kann det recht unerquicklich werden; noch viel unerquicklicher, als es jetzt schon ist.
Als ich, zum Beispiel, in den Nachrichten erste Andeutungen von dem „Unfall“ während der Festlichkeiten mit der holländischen Königsfamilie mitbekam: war mir natürlich sofort klar, daß det kein Unfall sein kann; aber auch ein geplantes Attentat schien mir unwahrscheinlich. Als dann erste Einzelheiten über jenen Fahrer durchsickerten: Ein Mensch, der seine Arbeit verloren hat, der seine Miete nicht mehr bezahlen kann… - waren die Hintergründe deutlich; und es würde mich sehr wundern, wenn außer diesem einen Verzweifelten noch andere in die Organisation dieses Zwischenfalls involviert wären.
Dafür würde es mich nicht wundern, wenn solche und ähnliche und noch viel schlimmere Zwischenfälle sich häufen würden.
Es sei denn, daß immer mehr Zeitgenossen sich dazu bequemen würden, ihr erbärmliches Behagen überwindend all diese Krücken und Surrogate, von denen sie getragen und in die sie eingebunden sind, mal zu hinterfragen und vielleicht, bevor ihnen die Krücken und Surrogate entzogen werden, selbst gehen zu lernen und den Schein von sozialem Zusammenhalt durch sozialen Zusammenhalt zu ersetzen.
Natürlich alles nicht so einfach; vor allem, wenn man es freiwillig macht und nicht unter dem Zwang von Notlagen; doch wenn die Notlagen einen zwingen isses in der Regel zu spät.
So isses
Nachbemerkung
Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe"" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf anschauen und/oder herunterladen kann.
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Aus dem Vorspann:
"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.
Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.
Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."
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