Dienstag, März 30, 2010

Was einen zum Auswandern treiben kann

2009_12_22

Selbst chronischer Auswanderer (mit Vorliebe für russischsprachige Länder) schaute ich mir die Auswanderungsratschläge auf der Netzpräsenz einer mir interessant scheinenden Lebensberaterin an. Was mir zum Anstoß gereichte, gewisse – wie auch hier – meist übersehene Komponenten der zum Auswandern drängenden Motive und Triebfedern mal näher unter die Lupe zu nehmen.

Nämlich scheint mir, daß besonders in Europa die Gründe für Auswanderung mitunter nicht nur in der immer prekärer werdenden wirtschaftlichen Situation und in möglicherweise aufziehenden Gefahren für Leib und Leben liegen, sondern vielmehr noch in der allen übrigen Katastrophen zugrundeliegenden „kulturellen“ Situation.

Das Verhängnis der Europäer und vor allem der deutschsprachigen Europäer sehe ich darin, daß sie oft nicht in der Lage sind, lebendige Denkansätze, Erlebnisansätze lebendig weiterzuentwickeln und sofort alles in Traditionen, Dogmen, Programmen erstarren lassen (wobei in der europäischen Geistesgeschichte durchaus entwicklungsfähiges Leben veranlagt wäre). Ansätze zu eigenen Fragen, zu eigenem lebendigem Streben verschwinden unter einem Wust aus Abgestorbenem; und entsprechend nimmt man auch das innere Leben oder die Keime inneren Lebens seiner Mitmenschen nicht mehr wahr. Die Gesellschaft atomisiert so zu einem Sammelsurium in sich abgeschlossener, weder sich selbst noch ihrer Umgebung rechtes Interesse, geschweige denn Verständnis abgewinnender Einzelner. – Das heutige soziale, wirtschaftliche Geschehen ist so kompliziert, daß es zu seinem Funktionieren auf bewußte, lebendige Menschen angewiesen wäre. Und die Wurzeln zu den sich abzeichnenden wirtschaftlichen und politischen Katastrophen sehe ich eben in der vonstattengegangenen kulturellen Katastrophe, das heißt im seelischen Absterben des Menschen.

Der Drang, diese einstmals kulturtragenden Gebiete zu verlassen, kann – neben der sich abzeichnenden materiellen Verelendung weiter Kreise und möglicherweise heranrückenden Gefahren für Leib und Leben – seine Wurzeln auch noch darin haben, daß für Menschen, die einen Rest an innerem Leben in sich bewahrt haben, der Aufenthalt in diesen abgestorbenen Wüsteneien mit geistig-seelischen Erstickungsanfällen verbunden ist. Und die Gefahren eines Aufenthalts in äußerlich unsicheren Gebieten – wenn man dabei die Gelegenheit hat, unter Menschen zu leben, mit denen man sich verständigen kann – sind bei Neigung zu solchen Erstickungsanfällen unter Umständen leichter zu verkraften als das Vegetieren in den – noch – sicheren europäischen Gefilden.

Es grüßt aus Tbilissi
Raymond Zoller

Doppelnas

Nachbemerkung

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf anschauen und/oder herunterladen kann.

Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."

Doppelnas

Freitag, März 26, 2010

Gedanken zu einer sinnvollen Verlagstätigkeit

    Strange things are happening

    Was heutzutage an Gedrucktem durch die Gegend schwirrt, ist für anspruchsvollere Gemüter nicht immer geeignet und wird nicht selten sogar als Zumutung empfunden. Kommentar eines Zeitgenossen zur deutschen Presse siehe etwa „Das ganz verdammte Mediending“; und was die Ernsthaftigkeit des etablierten deutschsprachigen Literaturbetriebs betrifft, so gab es zum Beispiel – zumindest für den Verfasser vorliegender Zeilen – höchstlich interessante Einblicke anläßlich des Rummels um jenes Fräulein Hegemann.

    Das hat vermutlich teilweise mit einer mangelnden Vorbereitung der Verantwortlichen zu tun (die ja zum Großteil die jedes Gespür für sprachliche Echtheit und logische Stringenz unterwandernde Bildungsphilister-Ausbildung über sich ergehen ließen), teilweise auch mit ganz banalen Sachzwängen: In der periodisch erscheinenden Presse etwa hat man zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Menge Text bereitzustellen; und da nimmt man, da einem nix anderes übrig bleibt, das, was da ist: Hauptsache, die Menge stimmt; auch wenn das, was da ist, nicht immer das ist, was gebraucht würde. Und die Schreiber – die zum Teil durch die gleiche unsinnige Ausbildung abgestumpft wurden – schreiben in der Regel nicht, weil sie sie von sich aus etwas bestimmtes zum Ausdruck bringen möchten, sondern weil sie, um leben zu können, zu einem bestimmten Termin eine bestimmte Menge Text zusammenschreiben müssen. Also schreiben sie zusammen: mit entsprechendem Resultat (und dieses Resultat ist, bei einem autoritätshörigen, auf die etablierte Presse ausgerichteten Publikum, mitunter gemeingefährlich).

    Dann gibt es noch das Internet. Im Internet findet man, ohne viel suchen zu müssen, mitunter gar noch schlimmeren Unsinn als in der Druckwelt; dafür hat man aber die Chance, mit etwas Glück und Ausdauer auch Lesbares zu finden. Denn im Internet gibt es fast alles.

    Das Internet hat bloß den Nachteil, daß man das alles ab Computerschirm lesen muß; und ab Computerschirm lesen ist mühsam; bei anspruchsvolleren Texten, wo man sich konzentrieren muß, verliert man da leicht mal den Faden.

    Also ausdrucken. Auch nicht ganz das Wahre. Aber besser als nix.

    Oder….

    Nachfolgende Gedanken stammen in ihrem Ansatz nicht von mir; ich entdeckte sie im Blog von Erika Reglin und entwickle sie nur ein Stückchen weiter.

    In meinem Blogeintrag „Gedanken zu Schreiben, Copyright, Texteklau und damit verbundenes“ spreche ich kurz die Folgen an, die aus der unreflektierten Kopplung von Arbeit und Einkommen für den kulturellen, publizistischen Bereich entstehen; und bedauerte bei der Gelegenheit, daß es nicht möglich ist, zu dieser Thematik mit den Verfechtern eines „Bedingungslosen Grundeinkommens“ ins Gespräch zu kommen. Die Betreiberin jenes Blogs ist nun genau in jenem Bereich angesiedelt. Sehr gut; vielleicht lassen sich diese Gedanken, als Vorbereitung zu äußeren Taten, weiterentwickeln.

    Stichwortartig der Weiterentwicklung bedürftige Bezugspunkte (ansatzweise wurde manches, wie ich weiß, bereits realisiert):

  • Die Mitglieder des Redaktionskollegiums einer solchen Zeitung, Zeitschrift oder eines Buchverlags (solche Redaktionen kann es natürlich beliebig viele geben) suchen das Netz ab nach geeigneten Beiträgen (dabei bilden sich für die einzelnen Redaktionen mit der Zeit ganz selbstverständlich „Reservoire“ von Stammautoren, auf die man sich konzentriert).

  • Das Copyright bleibt hiervon unberührt: Veröffentlichung nur mit Einwilligung des betreffenden Autoren. Höhe einer allfälligen Gewinnbeteiligung müßte – so überhaupt Gewinn anfällt – im Einzelnen abgeklärt werden.

  • Es gilt, nach Wegen zu suchen, die verhindern, daß der Autor unter dem Druck finanziellen Bedarfs schreibt (eben dieser Druck führt dazu, daß besonders „professionelle“ Autoren immer weniger professionell werden). Wie sich solches erreichen läßt ist eine andere – wie mir scheint: nicht unlösbare – Frage. Eben hier wäre es interessant, die Sache mit – nicht stur nach Verwirklichung irgendwelcher Programme strebenden, sondern gedanklich beweglichen – Vertretern der Richtung eines „Bedingungslosen Grundeinkommens“ durchzusprechen. Eine flächendeckende Realisierung dieses Gedankens scheint mir unwahrscheinlich (teilweise, eben, aufgrund leichtfertiger von „Brotschreibern“ verfaßter Berichterstattung zu diesem Thema in der etablierten Presse); aber vielleicht ließen sich bei entsprechender Beweglichkeit zumindest in kleinerem Rahmen Lösungsansätze schaffen (um Mißverständnisse im Keime zu ersticken: ich meine damit nicht so sehr mich selbst; ich selbst habe dank großzügiger Förderung ein bescheidenes „bedingungsloses Grundeinkommen“, das es mir erlaubt, in bescheidenem Rahmen tätig zu sein; es geht mir um Ansätze zu einer allgemeinen Lösung des Problems)

  • Man kann die Sache dann in die verschiedensten Richtungen hin weiterverfolgen. Zum Beispiel ließen sich Ausgaben denken, die sich auf Übersetzungen interessanter Texte aus anderen Sprachen spezialisieren; was, besonders bei Berichterstattung zu aktuellen Ereignissen, noch den Vorteil hätte, daß sich selbige Ereignisse von den allerverschiedensten Seiten her betrachten lassen; Tatsachenentstellungen aus Leichtfertigkeit oder mit der Tendenz bewußter Irreführung blieben da mit der Zeit auf der Strecke. – Hier ließe sich, zum Beispiel, mit Sprachenschulen zusammenarbeiten, indem Studenten, die in ihrer Muttersprache genügend beweglich sind, übungshalber Texte aus Sprachen übersetzen, die sie studieren, und dabei ein größeres Publikum an den Resultaten ihrer Übungen teilhaben lassen.

  • Da es bei solchem Verfahren auf Dauer eher gelingen könnte, anspruchsvolle Texte zusammenzubekommen, die für längere Zeit aktuell bleiben, könnte man dann auch die sich auf das Wesentliche beschränkende periodische Presse in eine handlichere, sich der Buchform annähernde Erscheinung bringen (natürlich Sache der einzelnen Verlage)

  • Wie gesagt: Daß es hierzu bereits Ansätze gibt ist mir bekannt; es geht mir nur um den Versuch, aus diesen verstreuten Ansätzen eine prinzipielle Lösung, oder auch mehrere prinzipielle Lösungen herauszuentwickeln, die den Druckerschwärzemorast in eine fruchtbare Landschaft verwandeln könnten.

    ♦♦♦

    Ausdrücklich möchte ich noch betonen, daß ich diese Denkansätze nicht als „Alternative“ zum etablierten Publikationsbetrieb betrachte. An eine „Alternative“ zu etwas Bestehendem kann ich nur denken, wenn ich dieses Bestehende ernst nehme; und mit Ernstnehmen habe ich in vorliegendem Fall etwas Mühe. Ganz einfach geht es mir darum: wie man Wege schlagen kann zu einem sinnvollen, qualitätsvollen Publizieren.

Eben

Raymond

Doppelnas

Diesen Beitrag findet man auch in einer Textzusammenstellung aus dem näheren und ferneren Umfeld des Themenkreises "Bedingungsloses Grundeinkommen" (http://dl.dropbox.com/u/54042052/BGE.pdf)

.Doppelnas

Sonntag, März 21, 2010

Sturer Schematismus als Verhinderer neuer Gedanken

DE_E_Welterretterstumpfsinn

(müßte eigentlich heißen „von Gedanken“, da, streng genommen, Gedanken, wo sie wirklich Gedanken sind, immer „neu“ sind und man in unseren denkfaulen Zeiten unter „neuen Gedanken“ in der Regel neue Dogmen versteht; doch lassen wir det mal, mit vorliegender Anmerkung versehen, so stehen.)

Die Zeiten, da man nach Amerika auswandern konnte und die Chance hatte, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu bringen, sind längst vorbei.

Wer heute in Europa einmal Tellerwäscher war oder gar Sozialhilfeempfänger, der ist in diesen Zeiten des alles zuzementierenden Schematismus für sein Lebtag gezeichnet und hat es schwer, seiner Umgebung klarzumachen, daß er außer Teller waschen oder Sozialhilfe empfangen auch noch anderes kann oder könnte, wenn man ihn ließe.

Den sturen Schematismus haben wir Europäer praktisch mit der Muttermilch eingesogen; durch entsprechende Erziehung und Ausbildung (eigentlich eher Dressur, bei der einem genau vorgegeben wurde, wie man in bestimmten Situationen zu handeln und zu „denken“ hat) wurde er gefestigt und zementiert; und nun haben wir den Salat.

Gegen sturen Schematismus sind ausdrücklich auch nicht diejenigen gefeit, die im Rahmen aller möglichen Programme dem Fortschritt Bahn brechen, menschenwürdige soziale Strukturen schaffen, den Schematismus besiegen, das Denken befreien wollen, und was es sonst noch alles gibt. Und auch der Verfasser vorliegender Zeilen, der es schon seit Jahren vorzieht, sich von der europäischen Heimat des sturen Schematismus in sicherer Entfernung zu halten, kommt nicht umhin, in strenger Selbstkontrolle Ansätze zu selbigem immer wieder in sich aufzuspüren und unschädlich zu machen.

Zu behaupten wage ich, daß es sogar weniger der sture Schematismus bei den Gegnern vordergründig menschenfreundlicher Programme ist, der die Sache schwierig macht, sondern viel mehr noch dessen unhinterfragte Überreste bei deren Befürwortern und Aktivisten. Dies gilt, wie ich aus Erfahrung weiß, für viele weitreichende Bestrebungen, die eben aus dem Grunde zur Unfruchtbarkeit verdammt sind, weil deren Vertreter es unterlassen, auch ihre eigene - oft hinter wohlklingenden Theorien und Programmen versteckte und ungestört sich austobende – Gesinnung unter die Lupe zu nehmen.

Eine gewisse schematismusfreie Beweglichkeit kann man noch in manchen Ländern der ehemaligen Sowjetunion finden. - Im Westen hört man immer wieder die Behauptung, diese Länder müßten noch sehr viel vom Westen lernen. Nun ist in diesen Ländern, was die Makrostrukturen betrifft, sehr vieles schief gelaufen (übrigens nicht ohne die Hilfe aus dem Westen importierten Unsinns; und selbst der Kommunismus war ja im Grunde ein Westimport); ansonsten bin ich der Ansicht: daß der Westen, wenn er nicht erstarren und auseinanderkrachen will, sehr viel bei der Bevölkerung dieser Länder zu lernen hat; in erster Linie: Offenheit und geistige Beweglichkeit.

Eben dies hatte ich noch sagen wollen.

Prost

Raymond

Марсьёнок


Donnerstag, März 11, 2010

über seichten Unsinn

 
Marsian child with two marsian pets after excessive lightroom treatment

Nimmt man sich die Muße, in der russischen Boulevardpresse herumzulesen (Stichproben querfeldein etwa via „Fark“), so findet man dort ein Ausmaß an seichtem Unsinn, das es problemlos mit dem Ausmaß des nicht nur in der Boulevardpresse allgegenwärtigen deutschen seichten Unsinns aufnehmen kann.

Der Unterschied besteht nur darin, daß die Deutschen in tierischem Ernste an ihrer Seichtheit kleben bleiben, während die Russen det alles lockerer nehmen und nix dagegen haben, sich auch mal in tieferen Gewässern umzusehen.

Eben...

Kakerlake

Samstag, März 06, 2010

Leistung muß sich wieder lohnen

work-will-set-you-free

Aus deutschen Nachrichten erfuhr ich, daß da ein Kabarettist namens Lerchenberg bei einem Auftritt anläßlich einer vergnüglichen Veranstaltung den Rahmen des belanglosen Vergnüglichen sprengte und zur Sache kam; weswegen er in Zukunft bei selbigen vergnüglichen Veranstaltungen nicht mehr auftreten darf.

Einen gewissen Westerwelle hatte er dabei aufs Korn genommen mit dessen Äußerungen bezüglich sogenannten Hartz-IV-Empfängern, d.h. bezüglich einer in Deutschland ständig wachsenden Menschengruppe, die durch die Umstände zügig ins materielle Elend getrieben wird. Die Sichtweise jenes Herrn Westerwelle hatte er in verschiedenen Andeutungen mit der – natürlich längst überwundenen – Nazi-Ideologie in Verbindung gebracht. – Eben weil man fand, daß die Nazi-Ideologie doch längst überwunden ist, daß man sie folglich auch nirgendwo entdecken kann und daß das Inverbindungbringen heutiger hochgeehrter Politiker mit selbiger Ideologie eine Beleidigung ist – darf er bei ebenselbigen vergnüglichen Veranstaltungen nun nicht mehr auftreten.

♦♦♦

Mit der Nazi-Ideologie hat Lerchenberg natürlich Recht; nur Westerwelle tut er Unrecht.

Recht hat er insofern, als die Nazi-Ideologie tatsächlich nicht untergegangen ist und in verwandelter Gestalt ungestört und immer stärker ihr Unwesen treibt; und zwar nicht nur in Deutschland. Diese menschenverachtende Ideologie ist nämlich, wie mir scheint, nicht an Nationen gebunden; nur daß bei der deutschen Gründlichkeit – welchselbige Gründlichkeit genausogut sich in menschenfreundlicheren Richtungen austoben könnte – selbiger Geist oder Ungeist sich auf eine sehr spezifische, sehr gründliche Art zu verkörpern pflegt. Daß beim Umgang der Herrenmenschen mit den ins Elend getriebenen Hartz-IV-Untermenschen genau der gleiche Ungeist im Spiel ist, der sich, in griffigerer Gestalt im Hitlertum austobte (doch auch für die damaligen Zeitgenossen war er, der Ungeist, damals nicht griffig genug; griffig wurde das erst, als alles vorbei war) – daran kann bei näherem Hinsehen kein Zweifel bestehen.

Und Westerwelle tut er insofern Unrecht, als Westerwelle nur klar auf den Punkt bringt, was sowieso schon in fast aller Köpfen ist. Für sich genommen scheint er harmlos.

♦♦♦

Mit Arbeit und Leistung hat dieses hartz-IV-hafte ins Elend Abgedrängtwerden nichts zu tun.

Mir scheint, daß fast jeder mehr oder weniger normale Mensch, wenn er nicht in Resignation oder Zynismus getrieben wird, das ganz natürliche Bedürfnis entwickeln kann, sich durch irgendwelche Arbeit, irgendwelche Leistung in seine soziale Umgebung einzubringen. Doch eben dies wird, besonders in der sogenannten zivilisierten Welt, durch bürokratische Schikane zunehmend erschwert. Was immer sich an Leistung und Arbeit außerhalb der ausgelatschten Pfade bewegt, wird durch wirtschaftliche und bürokratische Zwänge weitmöglichst abgewürgt; und innerhalb der ausgelatschten Pfade breitet sich immer mehr das aus, was man „Arbeitslosigkeit“ nennt.

Der Einzelne, der von dieser Elendswelle erfaßt wird, hat da kaum noch eine Chance; ganz egal, wie begabt er ist und wie arbeitswillig, was für Ideen er hat, die er realisieren möchte, ganz egal, wie weit es ihm gelingt, trotz allem sich von Resignation und Zynismus freizuhalten: in der Regel ist er zum Darben und zur Untätigkeit verurteilt.

Wenn ein Weiterspinnen des Vergleichs mit jener „Arbeit macht frei“ – Stätte gestattet ist: die dorthin abgeschobenen waren ja in ihrer Mehrheit durchaus arbeitswillig und nicht unbegabt, teilweise sogar hochbegabt; die meisten hatte man aus konkreten Arbeitszusammenhängen herausgerissen, wo sie sich nützlich machten; Ärzte waren darunter, Universitätsdozenten; und nun mußten sie unter der Aufsicht analphabetischer Aufseher das ausführen, was man an jener Stätte als „Arbeit“ definiert hatte. – Bei den von Lerchenberg angesprochenen Heutigen ist es allerdings häufig so, daß sie nicht einmal dazu kamen, ihre Begabungen zu entdecken und zu entwickeln. Letzteres übrigens ein noch näherer Untersuchung würdiges eigenes Kapitel unserer zeitgenössischen Kulturgeschichte.

♦♦♦

Mir scheint, daß diese unerquickliche Entwicklung in der sogenannten zivilisierten Welt einem gewissen Höhepunkt zustrebt, wo das soziale Geschehen entweder in polizeistaatlichem Totalitarismus erstarrt oder sich in Chaos auflöst. Die Hinentwicklung auf diesen Höhepunkt bietet aber auch gewisse Chancen insofern, als zumindest diejenigen, die dabei ins soziale Untermenschentum hinweggespült werden, die Möglichkeit erhalten, aufzuwachen und sich von dem anerzogenen Idiotismus zumindest innerlich zu befreien.

Vielleicht ergeben sich dann aus den anlaufenden Erkenntnisprozesse sinnvolle Entwicklungen: so es nicht bereits zu spät ist.

♦♦♦

So isses.

Schimpanse

Nachbemerkung:

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe"" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf anschauen und/oder herunterladen kann.

Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."

♦♦♦

Und auch in einer Textzusammenstellung aus dem näheren und ferneren Umfeld des Themenkreises "Bedingungsloses Grundeinkommen" (http://dl.dropbox.com/u/54042052/BGE.pdf  kann man diesen Beitrag finden.

 

Schimpanse

Mittwoch, März 03, 2010

Veröffentlichung und Gemeinschaftsbildung

DE_E_Schreiben_fuer_Seinesgleichen

♦♦♦

Die ganz natürliche Konsequenz unselbständigen Denkens ist Autoritätshörigkeit und Dogmatismus. Denn irgendwie muß man sich vom Zusammenhang der umgebenden Dinge ja ein Bild machen; und wenn das eigene Denken nicht stark genug ist oder wenn man seinen Möglichkeiten nicht traut, so muß man sich an das halten, was andere einem vorsagen. Mag dieses Bild auch bloß eine Fata Morgana sein – es vermittelt immerhin Sicherheit; und die Sicherheit des in seine Fata Morganas eingepanzerten Dogmatikers ist mitunter so beträchtlich, daß er jeden Denkenden damit plattwalzt und völlig verdattert hinter sich zurückläßt. Denn der Dogmatiker fühlt sich eingebettet in die machtvolle Gemeinschaft seiner Mitdogmatiker, während der Denkende mit seinem Denken ganz alleine ist.

Rein „Denkende“ gibt es sowieso kaum; wir leben alle in unseren Panzern aus Vorgedachtem; aber es gibt nun mal Menschen, die sich in diesen Panzern häuslich eingerichtet haben und gar nichts anderes mehr wollen, und nicht einmal ahnen, daß man noch etwas darüber hinaus wollen könnte; und es gibt solche, die daneben auch noch denken können und mitunter sogar klar unterscheiden, wo sie denken und wo sie nicht denken. Letztere wollen wir, der Einfachheit halber, abkürzend als „Denkende“ bezeichnen.

(Damit keine Mißverständnisse entstehen: dem Verfasser vorliegender Zeilen ist nicht unbekannt, daß man sich in Lautkombinationen wie „Denken“, „lebendiges Denken“, „seelische Beobachtung“ usw… genau gleich einlullen kann wie in andere Wörterlarven auch. Das ist nicht gemeint. Der Geist weht wo er will…)

Gemeinschaftsbildung aufgrund dogmatischer Vorgaben funktioniert sehr einfach und übersichtlich, und ihre Resultate sind äußerst stabil: wie ein unerschütterlicher Mechanismus aus unbiegsamen Metallteilen steht das vor den erbärmlichen zum Denken neigenden Einzelnen; und selbst wenn der Mechanismus nicht richtig funktionieren sollte, weil bei seiner Konstruktion irgendwas übersehen wurde, so spielt das weiter keine Rolle, da die ihn bildende Masse – auf die es letztendlich ankommt – das sowieso nicht merkt; für die Masse reicht es, daß sie Masse ist: „hart wie Kruppstahl“ sozusagen.

Gemeinschaftsbildung „aus dem Denken heraus“ funktioniert ganz anders, und ihre Funktionsweise ist bislang nur wenig bekannt (und das Wenige, was bislang erforscht wurde, wurde dann in der Folge so wüst zerredet, daß kein Schwein sich mehr zurechtfindet). Um den Unterschied zwischen Denken und Nichtdenken herauszuarbeiten müßte man sehr weit ausholen (wobei eine theoretische Bestimmung sowieso kaum möglich wäre; es könnte höchstens darum gehen, daß man versucht, den Einzelnen so weit zu sensibilisieren, daß er erst mal in den Facetten seiner eigenen Weltsicht auf den Unterschied aufmerksam wird; denn det iss schon eine sehr individuelle Angelegenheit, die sich nicht mit dem Hammer autoritativer Beweisführung bewerkstelligen läßt). Wer noch nicht ganz eingeschlafen ist dürfte den Unterschied zumindest ahnen.

Kommen wir nach diesem sehr langen Vorspann – aber kürzer ging es beim besten Willen nicht – zu unserem Thema: Veröffentlichung und Gemeinschaftsbildung. Gewissermaßen als Fortsetzung und eines der „Fazite“ meines letzten Blogeintrags.

In besagtem Eintrag findet man die Aussage:

Die Zielgruppe meiner Schreiberei beschränkt sich auf die Sphäre derjenigen, die etwas damit anfangen können; schriftstellerischen Ruhm im Sinne der heutigen Auffassung strebe ich nicht an, im Gegenteil würde ich ihn sogar als störend empfinden, da solcher Ruhm die Sphäre der ehrlich Interessierten aufsprengen würde in Richtung auf ein Publikum, das sich für nichts interessiert und nur mitreden möchte; wodurch alles verwässert würde.

Es geht hier ausdrücklich nicht um die Resultate meiner Schreiberei (die einen mögen sie, andere mögen sie nicht; doch das soll uns hier egal sein), sondern um die in diesen Zeilen umrissene Bewußtseinshaltung: Wer det so sieht – ob ich det bin oder jemand anders – der schreibt, was er schreiben möchte, veröffentlicht, was er veröffentlichen möchte; und als Leser hat er dabei nur diejenigen im Auge, die seinem Geschreibe, ganz egal aus welchen Gründen, ganz egal auf welcher Ebene ein ehrliches, elementares Interesse abgewinnen; während er oberflächliche, desinteressierte Leser eher als störend empfinden würde.

Auf solche Weise entstehen, auch wenn man sich gegenseitig nicht kennt, gewissermaßen geistig-seelische Gemeinschaften.

Im Prinzip war das von jeher die Haltung derjenigen Schreiber, denen es „ernst war, was zu sagen“; wegen des heutigen kulturellen Verfalls, wegen der Einmischung von Finanz und Politik in das Veröffentlichungsgeschehen und durch die dank dem Internet neuentstandenen Möglichkeiten bricht sich diese an sich normale Haltung bloß in metamorphierter Form ihre Bahn. Unter den spezifischen totalitären Bedingungen der inzwischen liquidierten Sowjetunion war das zum Beispiel das Samisdat; unter den sehr viel komplizierteren Bedingungen des Zusammenspiels relativer äußerer Freiheit und extremer innerer Unfreiheit – die Veröffentlichungen im Internet.

Nach den dogmatischen Vorgaben vor allem im deutschsprachigen Bereich darf man als richtigen, ernstzunehmenden Schriftsteller nur denjenigen bezeichnen, der Veröffentlichungen vorweisen kann in einem richtigen, offiziellen Verlag. Zeitgenossen, die auf autoritative Vorgaben angewiesen sind, wissen somit genau, woran sie sich zu halten haben. – Wenn man sich nun die Resultate dieses ernstzunehmenden Verlagslebens genauer anschaut, so hat man mitunter Schwierigkeiten, da irgendwas zu finden, mit dem man sich ehrlich verbinden könnte; und irgendwann hört man auf, diese Dinge überhaupt mitzuverfolgen. – Dies ist ja alles weiter nicht schlimm: Die dogmatisch orientierten haben ihre Spielwiese, wo sie „mitreden“ können, während die mehr an „Substanz“ orientierten Schreiber und Leser das Internet haben. Hier ist nun natürlich auch nicht alles Gold, was glänzt; ein wüstes Durcheinander ist das; aber immerhin: mit gezielter Suche und etwas Glück kann man auf „Substanz“ treffen. – Daß die an ihrem System festklebenden aktiven und passiven Akteure der Druckerschwärzewelt solchen außerhalb ihrer Konstrukte ablaufenden Veröffentlichungsbetrieb nicht anerkennen, ist nur konsequent, überhaupt nicht schlimm und hat im Gegenteil sogar gewisse positive Züge, da man so mehr unter sich bleibt, unbehelligt von bildungsphilisterhafter Literaturkritik und von Leuten, die bloß „mitreden“ wollen.

Lästig bei alledem ist bloß, daß manche Schreiber, die es vielleicht besser könnten, immer noch zu sehr nach diesem verhärteten künstlichen Konstrukt des offiziellen Kulturbetriebs schielen, an dem sie eigentlich gerne teilnehmen würden und nur nicht teilnehmen, weil man sie nicht läßt; und dadurch werden ihre Gedanken verwässert, ihre Entwicklung erschwert. Die Hauptgefahr liegt im unreflektierten persönlichen Ehrgeiz, der eine Affinität schafft zu diesen Morästen und selbige eben dadurch zu einer Gefahr werden läßt für die kulturelle Entwicklung; für sich genommen sind sie eher harmlos.

Wo der Ehrgeiz beiseitebleibt – egal, ob er sich im Schriftstellerseinwollen äußert oder im Mitredenwollen – wird nur geschrieben und gelesen, was man selbst als „Sache“ empfindet (müssen ja nicht alle das gleiche als „Sache“ empfinden) – und dadurch entstehen, aus einem gewissen gegenseitigen Verständnis heraus, sich überschneidende lockere oder stärkere „Gedankengemeinschaften“, „Erlebensgemeinsaften“.

Das ist nicht neu; im Grunde war das noch immer so.

Zum Beispiel: Der für mich wichtigste Autor unter den mehr oder weniger zeitgenössischen ist Solschenizyn. Zu den schon länger zurückliegenden Zeiten, als er als Politikum, als politische Sensation gehandhabt wurde und als alle über ihn redeten – verhielt ich mich ihm gegenüber mißtrauisch bis ablehnend (obwohl ich damals die Künstlichkeit des Kulturbetriebs noch nicht in dem Maße durchschaut hatte, wie das heute der Fall ist; und mir scheint, daß das damals auch noch nicht ganz so schlimm war). Aus verschiedenen Gründen ergab sich die Notwendigkeit, daß ich mich stärker in seine Sachen einlese; und da merkte ich: daß da Substanz ist, welche mit dem um seine Person veranstalteten Hokuspokus herzlichst wenig zu tun hat. Das Hokuspokus ebbte ab, die deutschen Übersetzungen seiner Werke wurden schließlich verramscht: er war aus der Mode gekommen. Und ich, der ich die in seinen Werken lebende Substanz entdeckt hatte, scherte mich nicht darum (auf die verramscht werdenden Übersetzungen war ich zum Glück nicht angewiesen). Auch in Rußland kam er, als man ihn ganz offen lesen durfte, in den neunziger Jahren aus der Mode; veröffentlicht wurde er, wenn überhaupt, in lächerlichen Winzig-Auflagen. Und wie er früher, zu Sowjetzeiten, auf das Samisdat auswich – so wich er nun auf das Internet aus. Die in Kleinstauflagen herausgegebenen zahllosen Bände des „Roten Rades“ hatte ich mir irgendwann verschaffen können; bei meinem Wanderleben blieben sie dann irgendwo zurück und waren, außer im Internet, nicht mehr aufzutreiben. Von dorten lud ich mir das alles herunter, druckte es aus; und diese ganzen Bände habe ich nun in Form von Aktenordnern (ich tat das nicht aus Sammelwut, sondern weil mich doch tatsächlich immer wieder das Bedürfnis befällt, darin zu lesen).

– Solschenizyn ist in vorliegendem Zusammenhang noch aus dem Grunde interessant, weil er das Vergnügen hatte, sich in verschiedenen Situationen mit jeweils spezifischen Mitteln behelfen zu müssen: In den durch Zensur gesteuerten sowjetischen Bedingungen durch Samisdat auf Papier; unter den durch diktatorische Modeströmungen, wirre Gleichgültigkeit, finanzielle Interessen usw…. gesteuerten späteren Bedingungen: durch Samisdat im Internet. – Wobei noch festzuhalten sei, daß Solschenizyn sich nie als „Dissidenten“ betrachtete und sich auch gegen solche Bezeichnung wehrte. Er sagte einfach, was er zu sagen hatte, brachte es unter der jeweils möglichen Form unter die Leute; und fertig. Wen es interessierte – der las es; wen es nicht interessierte – der ließ es sein.

Mögen denn alle det so tun.

Prost
Raymond

Doppelnas

p.s. Um den gedanklichen Faden richtig herauszuarbeiten, hätte ich viel ausführliche werden müssen. Für einen Blogeintrag wäre det dann aber, wie mir auffiel, viel zu lang worden. Drum: Lassen wir es denn mal so, wie es ist. So jemand Wert darauf legen sollte, kann ich es ausarbeiten.

nochmal:
Prost
Doppelnas

Nachbemerkung

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf anschauen und/oder herunterladen kann.

Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."

Doppelnas