Mittwoch, September 23, 2015

Vom Wandern und vom Zuhausebleiben

pioneers2 pioneers

Aus der amerikanischen Pionierzeit

freiwillig

Motto einer Facebook-Gruppe mit dem Titel
”Aufstand der Menschlichkeit”

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Raymond

Autor:
Raymond Zoller

Doppelnas

Es geht da um das in Europa gefährliche Ausmaße annehmende Flüchtlingsproblem.

Dieses Problem ist so komplex und so vielschichtig, daß zur Vereinfachung neigende brave Bürgersleut‘, die entweder, von Mitleid besessen oder sich einfach bloß in der Pose des barmherzigen Samariters gefallend, restlos alle Flüchtlinge aufnehmen wollen; oder aber in grimmem ‚National’bewusstsein restlos alle zum Teufel schicken wollen – ja nu, daß diese braven Bürgersleut‘ der Sache halt nicht gerecht werden können.

Denn das sind nu mal sehr viele Leute, mit sehr vielen unterschiedlichen Schicksalen, Hintergründen, Motiven; und selbst wenn manche in „Gruppenschicksalen“ zusammengefaßt sind, so isses immer noch extrem bunt und vielgestaltig.

„Wer mit den Flüchtlingen kein Mitleid hat, der hat kein Herz; wer beim Mitleid stehenbleibt – keinen Verstand“ – so oder so ähnlich hat Putin sich vor kurzem, scheint‘s, zur Flüchtlingsproblematik geäußert. Wann und wo er es gesagt hat, weiß ich nicht; aber es wäre ihm zuzutrauen, und ich sehe det auch so.

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Irgendein Grund, warum man sich, weitausgreifend oder einfach so, fortbewegt, besteht eigentlich immer. Den einen „treibt die Gärung in die Ferne“, einem andern ist die nominelle Heimat unerträgliche Fremde; wieder andere suchen das Abenteuer oder ein besseres Leben; und ist die Gärung, die innere Not, die äußere Not, die Abenteuerlust oder was auch immer stärker als die zu erwartenden Hindernisse – so wandert man halt.

Die Leute, die diesen Unsinn schrieben, meinen, dem Kontext nach zu urteilen, äußerliche Brachialgewalt. Für Menschen die, zum Beispiel, nie den Kopf über ihr vertrautes anerzogenes Schlammloch hinausheben konnten, höchstens ab und zu irgendwohin in Urlaub oder auf Dienstreise fahren und alles nach ihrem behaglichen Schlammloch beurteilen – ist es völlig normal, daß die verschiedenen Triebfedern und Motive des Sichfortbewegens für sie ein Buch sind mit sieben Siegeln. Für jemanden, der die Welt und den Menschen nicht kennt und sein ganzes Wissen den Massenmedien oder dem Parteiprogramm entnimmt – für den ist natürlich alles ganz einfach,

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Angemerkt sei aber noch, daß damit nix gegen die notorisch Seßhaften gesagt ist. Genau wie bei den Migranten gibt es hier die verschiedenartigsten Schicksale; und um den Kopf über sein anerzogenes Schlammloch hinausheben zu können, muß man nicht unbedingt physisch die weite Welt durchstreifen. Ich kenn genügend Leute, die, ohne sich je übermäßig fortbewegt zu haben, über einen weiten Horizont verfügen, unterscheiden können zwischen dem, was sie verstehen und nicht verstehen, und einen Blick haben für vertrauenswürdige Informationsquellen.

Die Menschen, die seßhaften wie die nichtseßhaften, sind nun mal verschieden.

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So isses

Doppelnas

Montag, September 14, 2015

Von einer Petition, die ich nicht unterschreiben kann

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Doppelnas

Raymond

Raymond Zoller

Es geht um eine an irgendwelche Politiker gerichtete Petition „Aus Sorge um Europa – Was ist zu tun?“, mit der man einen Beitrag leisten will zur Verhinderung eines europäischen Krieges.

Den vollständigen Text der Petition mitsamt der Möglichkeit, sie bei Bedarf zu unterzeichnen, findet man unter https://weact.campact.de/petitions/aus-sorge-um-europa-was-ist-zu-tun

Zweimal wurde ich direkt angeschrieben mit der Bitte, besagte Petition zu unterzeichnen. Bloß bereitete deren Text mir ernsthafte Probleme; und obwohl ein solcher Krieg, wie überhaupt jeglicher Krieg, mir unbedingt verhinderungswürdig scheint, könnte ich das so nicht unterschreiben

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Der bewaffnete Konflikt in der Ukraine schwelt weiter. Die Gefahr eines Krieges in Europa ist nicht gebannt. Eine Eskalation der Kriegshandlungen in der Ukraine – aus welchen Gründen und von welcher Seite auch immer – kann von heute auf morgen erneut stattfinden…“ – […] – „Wir halten den Krieg als Lösung von Konflikten jedweder Art in Europa für ungeeignet, antiquiert und nicht zielführend. Wir kennen heute als Menschheit Mittel und Wege wie Konfliktschlichtungen, zwischenstaatliche und interkulturelle Mediationen, die besser und mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit auf Erfolg dazu geeignet sind, eskalierende Auseinandersetzungen zwischen Menschen, Volksgruppen und Völkern zu bewältigen… […]“

Und so weiter.

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Kling alles sehr vernünftig und ist sicher gut gemeint. Aber trotzdem…

Vor kurzem entdeckte ich den Aufruf zum Unterzeichnen ebendieser Petition auch auf Facebook. Diesmal faßte ich in einem Kommentar meine Bedenken knapp zusammen:

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Mit dem Text dieser Petition hab ich etwas Probleme.

Nämlich geht es in diesem Fall de facto gar nicht um „Krieg als Lösung von Konflikten“. Die Konflikte wurden künstlich eben von der Seite aus entfacht, die nun Krieg gegen Rußland führen möchte, werden von ebendieser Seite aus künstlich am Brodeln gehalten und zum Eskalieren gebracht.

Wenn es darum ginge, Konflikte zu lösen, würde es reichen, die westlichen Marionetten aus den Krisengebieten herauszuziehen und sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Ziel der Kriegstreiberei kann alles Mögliche sein; ganz sicher aber nicht die Lösung von Konflikten.

Obwohl Bürger eines EU-Staates (für welchselbige Staatsbürgerschaft ich mich fast schon schäme) würde ich aufgrund dieser unstimmigen Formulierungen die Sache nicht unterzeichnen

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Hierauf gab es eine Antwort von

Reto Andrea

Reto Andrea Savoldelli:

Genau damit hatte ich auch meine Probleme. Aber Rohlfs ist nun mal Konfliktmanager. Die Petition ist an drei deutsche Politiker gerichtet. Sie huldigen gewiss dem Weltbild, wonach es der Forderung des Tages entspricht, Konflikte human zu lösen. Diese Verbalie sind sie ihren Wählern schuldig. Man vermutet, dass diejenigen, welche Kriege in den letzten Jahren schon nicht haben verhindern, sie vielleicht beenden können. Eine zwar vage Hoffnung, die sich durch eine grosse Anzahl von Unterzeichnern erfüllen soll. Diejenigen, die erkennen, daß in der Nacht agiert wird, Konflikte unter Menschen zu schüren, die zu dumm sind, den äußeren Frieden als Voraussetzung zur Herstellung des inneren zu erhalten, stellen noch andere Forderungen. Da hast Du völlig recht!

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Was den Anlaß gab, meine Sichtweise weiter zu präzisieren:

Raymond

Raymond Zoller

Welches Weltbild die einzelnen Politiker real haben, weiß ich nicht; vielleicht tun sie nur so, als seien sie an Konfliktlösungen interessiert. Vielleicht sind manche unter ihnen tatsächlich dumm genug, um nicht zu merken, was gespielt wird; kann sein, ist möglich; doch das sind dann reine Strohpuppen, die sowieso nix ausrichten könnten und nur der Staffage dienen.

Ich zieh es vor, das Kind beim Namen zu nennen. Wenn ich durch Unterzeichnen der Petition das Konfliktlösungs-Argument unterstützen würde, müßte ich mich als Lügner empfinden. Bin da etwas überempfindlich.

Und sowieso bin ich der Ansicht, daß man beim Bemühen um Problemlösung als allererstes bemüht sein muß, die Problemlage so klar als möglich ins Auge zu fassen und daß jede noch so gutgemeinte demagogische Verzerrung die Sache nur noch weiter verkompliziert.

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Reto Andrea Savoldelli antwortete:

Reto Andrea

Reto Andrea Savoldelli:

Dass die Petition eine gutgemeinte demagogische Verzerrung sei, ist nun doch arg dick aufgetragen. Ist sie nicht viel mehr Ausdruck der allgemein um sich greifenden Hilfosigkeit? Also setze ich weiterhin auf das „Gutgemeinte“. Die Petition wird einige Versammlungen und Kongresse beleben und damit beitragen, das Gutgemeinte zu präzisieren oder zu korrigieren. Ich habe die Petition unterzeichnet und will meine Unterschrift jetzt nicht streichen lassen. Ohnehin ist sie als von einem in Frankreich lebenden Italo-Schweizer stammend weitgehend bedeutungslos. - Es gibt ja nicht nur Cantorsche Unendlichkeitsstufen, sondern auch Abstufungen des Gutgemeinten bis hinauf zum wirklich Guten, je nachdem, welche Intuitionen ihm zugrunde liegen oder fehlen.

PS: Als ich vom „Agieren in der Nacht“ sprach, musste ich an Kennedys berühmte Rede denken, die eine Widerstandserklärung gegenüber seinen Mördern enthielt. In ihr warnte er vor einer einflussreichen, global agierenden Gruppe, welche ihren „Einfluss durch Umsturz und nicht durch Wahlen erweitern, die anstelle der Armeen bei Tage die Guerillas bei Nacht einsetzen.“ - Auf solche Menschen wie etwa Patricia Nuland, wenn man sie denn so nennen will, die den Krieg in der Ukraine vorsätzlich herbeigeführt haben, haben die Herren Steinmeier, Erler und Gysi (an sie ist die Petition gerichtet) keinen Einfluss. Die werden ihr „Fuck the EU“ kaum revidieren. Je länger ich darüber nachdenke, je mehr mache auch ich mir Sorge um Europa, weil ich ein Europa, das in Gefahr stehen würde, gar nicht sehe. Um welches Europa ist die Petition denn in Sorge? Das Brüsseler Europa? Das EZB-Schäuble-Europa? Das US- Kriegsadjutant-Europa? Oder das Europa deutscher Idealisten?

Doppelnas

Montag, September 07, 2015

Zum Fall Ralph Boes

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Raymond

Autor:
Raymond Zoller

Doppelnas

Auf Facebook äußerte ich mich in einem Statusbeitrag von Ralph Boes zu seinem freiwillig-unfreiwilligen Hungerstreik bzw. seinem „Sanktionshungern“:

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Bereits mehrere Beiträge habe ich gesehen, wo man dich zum Essen einlädt. Würde ich annehmen. Besser untereinander normale menschliche Zusammenhänge schaffen, als im Kampf gegen ein widermenschliches System, das möglicherweise eh bald zusammenkracht, den Hungertod sterben.

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Jemand meint, daß das nicht der Sinn der Sache ist; daß andere in ähnlicher Situation auch keine Einladung zum Essen bekommt und daß vielen der Mut oder die Kraft fehlt, überhaupt an die Öffentlichkeit zu gehen.

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Meine Antwort:

Ist mir bekannt. Aber ich glaube nicht, daß er dem System beikommen kann; auch nicht mit Märtyrertod. Und das System wurde eben aus dem Grunde so stark und so widermenschlich, weil man immer alles auf "den Staat" abschiebt, statt untereinander für normale soziale Verhältnisse zu sorgen und sich real – ich meine real und nicht abstrakt theoretisierend – sich die Rolle des Staatsapparates in ihrer Wechselwirkung mit anderen Epizentren des sozialen Geschehens zu vergegenwärtigen (nicht bloß schöngeistig gemeinte Anregungen hierzu gibt es in der europäischen Geistesgeschichte mehr als genug).

Mit seinem freiwillig-unfreiwilligen Hungerstreik hat er genügend Aufsehen hervorgerufen; nun gilt es, bevor er sinnlos seine Gesundheit ruiniert, einen sinnvollen Schlenker zu machen und durch Annahme jener Einladungen den versäumten Weg der Entwicklung realer sozialer Fähigkeiten anzudeuten.

(ist kein Witz; ich mein das wirklich so; müßte es bloß ausführlicher darlegen, als das in einem Facebook-Beitrag möglich ist)

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Hierzu folgende Entgegnung:

wieso geben Menschen immer wieder solche Ratschläge, ich kapier es nicht, sind es die eigenen Ängste oder die eigene Bequemlichkeit? Es sind ja alle betroffen, auch das System Arbeit funktioniert fast nur auf Angst

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Meine Antwort:

Bin ich gemeint als einer der "Menschen, die immer solche Ratschläge geben?" Selbst bin ich nicht direkt betroffen; ich leb in Montenegro, bin kein Deutscher, hab keine Angst. Ich seh nur, wie jemand sich – meiner Ansicht nach – unsinnig opfert. Ich bin in Europa geboren und aufgewachsen, hab lange dort gelebt, und die Tendenz, alles auf "Vater Staat" abzuschieben, konnte ich zur Genüge studieren. Und bekam auch mit, wie man – trotz gelegentlicher anderslautender Lippenbekenntnisse – in großem Stil es versäumte, sich um das Entwickeln realer sozialer Fähigkeiten zu kümmern sowie darauf basierender lebensfähiger sozialer Zusammenhänge.

Und außerdem bin ich wirklich der Ansicht, daß Europa, und vor allem Deutschland, am Zusammenkrachen ist; das ist nicht mehr lebensfähig. Vor dem großen Krach im Kampf gegen ein zusammenbrechendes System schnell noch mal den Hungertod sterben betrachte ich, wenn es gestattet ist, det so zu sagen, als Unsinn.

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Hierzu gab es folgende Entgegnung, die ich, mit Auslassungen, in natura wiedergebe:

ich meine die vielen Leute, die immer wieder die gleichen Ratschläge geben, aber warum erklären sie das nicht allen 7000 Betroffenen oder denen, die die Entscheidung getroffen haben? [..] Auch Politiker sind sterblich und stehen jeden Morgen vor dem Spiegel, sie verdrängen täglich, was sie meinen nicht ändern zu können - weil man ja alleine nichts bewegen kann ... aber eine einzige Mücke kann ihnen den Schlaf nehmen, machen sie bitte Ralph Boes nicht zu weniger - abwarten bis sich Strukturen ändern bringt auf jeden Fall weniger - schon wenn wir aufstehen ändert sich unser Horizont

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Meine Antwort:

Daß die derzeitig machthabenden Politiker sich schnell mal ändern könnten – glaub ich nicht; Persönlichkeiten, die aus behäbigem Sichtragenlassen plötzlich aufmerken und sich gegen den sie tragenden Strom wenden könnten – seh ich da keine (Wunder kann es natürlich immer mal geben). Und selbst wenn das Unwahrscheinliche mal eintreten sollte, würden die Puppenspieler die ungehorsame Puppe umgehend durch eine fügsamere ersetzen.

Daß die Strukturen sich ändern werden scheint mir hingegen höchst wahrscheinlich; aber eben in dem Sinne, daß alles zusammenkracht. Kann mich irren; aber fürchte, daß nicht.

Da die Situation immer bedrohlicher wird; so bedrohlich, daß auch manche von den in wohligem Tiefschlaf herumschlafwandelnden noch wohlversorgten Zeitgenossen beginnen, aufzumerken – lassen sich vielleicht, bevor alles drunter und drüber geht, noch Anfänge echten sozialen Zusammenhalts und gegenseitiger Hilfe veranlagen.

Würde Ralph Boes die Einladungen zum Essen annehmen, so könnte das ein einsetzender Schlenker seiner Aktivitäten in ebensolche Richtung sein.

Man vergißt nun mal leicht, daß es außer Politikern auch noch andere Leute gibt

Doppelnas

Nachbemerkung:

Wie oben angedeutet, gibt es in der europäischen Geistesgeschichte genügend nicht bloß schöngeistig gemeinte Anregungen, den Staat seines väterlichen Nimbus zu berauben und die Funktion des Staatsapparats neu zu bedenken. Dies wurde ja auch von manchen ehrlich aufgegriffen; aber es konnte sich gegen die von Vaterkomplexlern getragene immer allmächtiger werdende alles verschlingende Staatsmaschinerie nicht durchsetzen.

Der Grund für diese Ohnmacht lag unter anderem darin, daß solche Bestrebungen meist von tonangebenden Kreisen überschattet waren, in denen ein mit fortschrittlichen Farben übermaltes vaterkomplexiges braves Bürgertum das Sagen hatte. Das mußte schief gehen.

Wie wenig Chancen bestanden und wie sehr das schief gehen mußte wurde mir mit ganzer Brutalität erst vor kurzem bewußt; was seinen Niederschlag fand in dem Blogeintrag „Übergeistelte Gutbürgerlichkeit

Nee; das mußte schiefgehen.

So isses

Doppelnas