Sonntag, April 18, 2010

Computerasche?

"Die Schließung des Luftraums erfolgte ausschließlich aufgrund der Daten einer Computersimulation beim Vulcanic Ash Advisory Centre in London" – "Es ist in Deutschland noch nicht mal ein Wetterballon aufgestiegen, um zu messen, ob und wie viel Vulkanasche sich in der Luft befindet."

So zu lesen auf der ZDF-Site unter „Kritik an der Schließung der Flughäfen“.

Wenn det stimmt, muß man davon ausgehen, daß die erfrischende Macht unverdorbener Naturgewalten wieder durch den altvertrauten Nebel menschlicher Unzulänglichkeit ersetzt wurde.

Falls es tatsächlich so ist, daß man, unbehelligt von Fakten, aufgrund irgendwelcher Vorgaben den Computer vor sich hin modellieren läßt, um dann aufgrund dessen, was er ausspuckt, weitreichende Entschlüsse zu fassen - so erinnert det gar sehr an die gute alte Zeit der Scholastik; nur, daß die ollen Scholastiker noch selber deduzierten, während man heute das Denken dem Computer überläßt.

Aber andererseits: Was soll man tun? Läßt man die Flugzeuge fliegen, und es geht was schief, so kommen sofort irgendwelche Staatsanwaltschaften und suchen nach Schuldigen. Und finden sie natürlich, da im Prinzip immer jemand schuldig sein muß. Und die Presse, die heute über das ungerechtfertigte Schließen des Luftraums schimpft, kann morgen ohne Übergang über das ungerechtfertigte Freigeben des Luftraums schimpfen.

Doch wiederum andererseits: ein bißchen um Fakten könnte man sich schon kümmern.

Eben.

Prost.
Raymond

Samstag, April 17, 2010

Nazimentalität

DE_E_Entmenschen

♦♦♦

Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein
(Goethe, Faust)

Durch künstliche Überbetonung des nationalen Moments bei der Beurteilung historischer Abläufe und aktueller sozialer Probleme entsteht nicht selten ein grob vereinfachender Schematismus, der den Blick auf die Tatsachen verfälscht und ein sachgerechtes Aufarbeiten erschwert. Ich bin kein Historiker, wage aber trotzdem zu behaupten, daß sehr vieles von der jüngeren Geschichte neu durchdacht, neu geschrieben werden müßte und daß man auch bei der Behandlung gegenwärtiger sozialer Probleme mit dem Begriff des „Nationalen“ etwas vorsichtiger sein sollte.

Noch zusätzlich verkomplizierend ist die weitverbreitete gedankenlose Gleichsetzung von Wort und Begriff. Ich bin nicht nur kein Historiker, sondern darüber hinaus auch kein Fachphilosoph, will mich denn auch hier nicht auf linguistische Spitzfindigkeiten einlassen und auch nicht auf den mehr oder weniger berühmten Universalienstreit; möchte nur, ganz banal, auf die leicht beobachtbare Tatsache hinweisen: Daß mitunter mit einem und dem gleichen Worte verschiedene Leute ganz verschiedene Dinge meinen; und daß sogar ein und derselbe Leuterich ein und das gleiche Wort zu verschiedenen Momenten mit verschiedenen Bedeutungen verwenden kann.

Bezüglich Verbrechen der Nationalsozialisten während jenes „Tausendjährigen Reichs“ etwa werden gewisse wesentliche Grundzüge teilweise verdeckt durch eine zu starre Nationalisierung der Opfer.

Da klassierte man also, als bürokratische Maßnahme, anhand einer Sammlung willkürlich konstruierter Definitionen eine große Menge Menschen als „Untermenschen“; begann, sie durch sich verstärkende entwürdigende bürokratische Schikane zu drangsalieren; und schließlich machte man sich daran, sie, gleichfalls streng bürokratisch organisiert, physisch zu vernichten.

Das waren, wohl zu einem großen Teil Leute, die ganz normal im deutschen Alltag integriert waren, ihr Leben lebten, ihrer Arbeit nachgingen und keine Ahnung hatte, daß sie „anders“ sein könnten. Deutsche halt, wie alle ringsum. Etwa – um ein extremes Beispiel zu nennen; doch ähnliche Beispiele gibt es viele – jener Viktor Klemperer, im Gegensatz zu den ihm nach dem Leben trachtenden „Herrenmenschen“ ein überzeugter und überzeugender Vertreter ursprünglicher deutscher Kultur. Die meisten dieser amtlich ins Abseits Abgedrängten wurden zu „Juden“ ernannt und ganz besonders schlimm drangsaliert. – Hier gilt es nun, eben, zu unterscheiden zwischen Wort und Begriff. Nämlich wird, wie oben bereits angedeutet, oft übersehen, daß beides nicht untrennbar zusammengehört und daß verschiedene Leute mit einem und dem gleichen Wort ganz verschiedene Begriffe verbinden. Ein Nazi oder sonstwie gefärbter Antisemit verbindet mit dem Wort „Jude“ einen ganz anderen Begriff (oder auch bloß „emotionalen Komplex“) als das Mitglied einer jüdischen Gemeinde oder auch jemand, der wie ein Blitz aus heiterem Himmel, auf amtlichem Wege plötzlich erfährt, daß er aufgrund irgendwelcher Vorfahren „Jude“ ist und „Untermensch“. Und der emotional tingierte „Judenbegriff“ des Antisemiten wird schon wieder ein ganz anderer, wenn er sich in ein blutleeres bürokratisches System verkörpert. All diese amtliche Definitionen, die Klassierungen in „Jude“, „Halbjude“, mitsamt den ganzen Mischformen, „Asozialer“ und so weiter waren letztendlich völlig willkürlich gefaßt und boten den zuständigen Beamten ein weites Feld für vergnügliche Knobeleien, um zu bestimmen: in welchem Grade ihre einzelnen Opfer als Untermenschen zu betrachten sind, welchen Drangsalierungen man sie zu unterziehen hat, ob und wann und wie man sie umbringen soll (durch welchselbige vergnügliche Knobeleien man sie vermutlich auch davon abhielt, während der Arbeitszeit Kreuzworträtsel zu lösen).

Daß man diese Unmengen an Menschen, die von jenem Unrechtssystem entwürdigt, eingesperrt, ermordet wurden, nun nachträglich nach den verschiedensten Gesichtspunkten in verschiedene Gruppierungen unterteilt und dabei vor allem die besonders stark in Mitleidenschaft gezogene Kategorie der „Juden“ erwähnt, ist natürlich gerechtfertigt; bloß übersieht man bei einer Überbetonung dieser Einteilung leicht mal das Wesentliche an der Sache, und zwarnämlich:

Daß es sich um Menschen handelte, die durch Maßnahmen des Staatsapparates, nach von ihrem jeweiligen persönlichen Verhalten unabhängigen Kriterien entwürdigt, ins Abseits gedrängt, vernichtet wurden. Daß der Staatsapparat sich anmaßte, Menschen, zum Beispiel, aus bestehenden Arbeitszusammenhängen herauszureißen, um sie in jenen „Arbeit macht frei“ – Stätten zusammenzupferchen, wo sie unter der Aufsicht analphabetischer Wärter auszuführen hatten, was man offiziell als „Arbeit“ definiert hatte.

Daß jener Staatsapparat sich anmaßte, rein bürokratisch zu verwalten, wer in seinem Herrschaftsbereich das Recht auf Leben hat und wer nicht, geht sogar für streng Staatsgläubige im Nachhinein etwas zu weit. Wohlgemerkt: im Nachhinein; in der Gegenwart würden – wie ich zu vermuten wage – nicht wenige, wenn sich um sie herum ein ähnliches System mit ähnlichem Recht auf Leben oder Tod bilden würde, sich willig einfügen; vor allem natürlich diejenigen, die per Definition zu den Privilegierten gehören. Und ich wage zu behaupten: hätten die Nazis nicht versucht, durch militärische Maßnahmen die Welt zu erobern und hätten sie von einer systematischen physischen Vernichtung der als „Untermenschen“ klassierten abgesehen – so hätte man ihnen all die übrigen Verbrechen inzwischen längst verziehen, hätte det alles vielleicht von vornherein gar nicht als Verbrechen betrachtet, sondern – günstigstenfalls – als leicht problematisch.

Was nun weltweit, vor allem in den sogenannten zivilisierten Ländern und besonders griffig in ebenjenem unglückseligen Deutschland in dieser Hinsicht an Entwicklungstendenzen zu beobachten ist, ist folgendes:

Anhand eines verbogenen Arbeitsbegriffs, aus dem die Staatsmacht sich das Recht ableitet, jede in Richtung Sichnützlichmachen gehende Bewegung der in ihrem Einflußbereich lebenden zu kontrollieren und, je nachdem, zu unterbinden; sich herausnimmt, anhand immer strenger werdender sich auf Kleinigkeiten erstreckender Kontrollen die Einzelnen wie verschreckte Hasen sich ducken zu lassen, ihnen jeden Mut zu nehmen, sich noch zu rühren – werden immer größere Kreise ins materielle Elend abgedrängt und langsam, aber sicher als „Untermenschen“ abgetan.

Siehe auch einen früheren Blogeintrag, darin dieses Thema anklingt.

Eben hier äußert sich die Substanz dieses Unrechtssystems und nicht in irgendwelchen biertrinkenden und randalierenden Neonazis. Die sind zwar lästig, aber im Vergleich zum „substantiellen“ Nazitum eher harmlos.

Was soll man sonst noch dazu sagen? Sehr vieles gäbe es noch zu sagen, von diesem skizzenhaften Ansatz aus weiter zu bedenken.

Doch lassen wir det besser. Wenn man nämlich die Sache von anderen Seiten her anschaut oder, besser noch, sie überhaupt nicht erst anzuschauen versucht, so kommt man nicht umhin zu sagen, daß das Leben doch sehr schön iss und lustig. Und das iss doch allemale die Hauptsache.

Nich?

***

Prost.

♦♦♦

Nachbemerkung

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe"" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf anschauen und/oder herunterladen kann.

 

Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."

Doppelnas

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Freitag, April 16, 2010

Aschewolke

Nur so ganz nebenbei bemerkt:

Das mit dieser den Flugverkehr lahmlegenden Aschewolke finde ich gut.

Die meisten Probleme, mit denen wir heutzutage konfrontiert werden, resultieren aus menschlicher Dummheit und Verdorbenheit.

Und da ziehen nun, wie eine siegreiche Flagge, unverdorbene Kräfte durch die Gegend und zeigen ganz unbekümmert: daß sie stärker sind.

Echt gut!

Prost.

Raymond

Sonntag, April 11, 2010

Katyn und Nationalitätsfrage

Nachfolgende Gesichtspunkte hatte ich zunächst in verstreuten Briefen formulieren wollen und nicht öffentlich. Gleich nach dem ersten Brief disponierte ich um: soll das lesen, wer will.

Kopier den Brief, mit ein paar unwesentlichen Ausmerzungen zu sehr ins Auge fallender stilistischer Schnitzer, einfach mal rein.

Also:

***

“Vielleicht wäre es angebrachter, jene nachträglich noch von einem Flugzeugabsturz gekrönte Katyn-Katastrophe allgemein als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu betrachten und die rein nationalen Gesichtspunkte in den Hintergrund treten zu lassen?

Ist es denn überhaupt rechtens, wenn Rußland die Schuld für Katyn auf sich nimmt? Federführend war doch die Sowjetunion? Wie verhält Rußland sich zur einstigen Sowjetunion? - Nun gut, die Entwicklung, die zur Entstehung der Sowjetunion führte, begann in Rußland; die Hauptstadt der Sowjetunion lag ebendort, und die Amtssprache war Russisch. Ansonsten war Rußland eine Sowjetrepublik unter anderen Sowjetrepubliken.

Weil man Rußland mit der Sowjetunion gleichsetzt, übersieht man auch leicht den durch das Sowjetregime durchgeführten Genozid an den Russen (für den Genozid an den Kosaken - eigentlich auch Russen - gab es sogar einen eigenen Ausdruck: расказачивание, ‘Entkosakisierung’; stammte, glaub ich, von Trozki).

Starker, eigentlich allmächtiger Mann in der Sowjetunion war damals bekanntlich Stalin, der eigentlich Dschugaschwili hieß und aus Georgien stammte (kenn hier in Tbilissi jemanden, von dem irgendwelche Vorfahren Anfang letzten Jahrhunderts mit jenem Dschugaschwili zusammen waren und der, als Familienreliquie, einen Revolver aufbewahrt, mit dem selbiger Dschugaschwili seinerzeit auf Bankraub - oder, vornehmer ausgedrückt: Expropriation - ging. Mit dem Ding kann man sogar noch schießen. Dies nur nebenbei)

Berija - der maßgeblich am Zustandekommen des Katyn-Massakers beteiligt war - war bekanntlich gleichfalls Georgier (in Zentralgeorgien schiebt man ihn weiter ab mit der Bemerkung: er war Megrele).

Anfang der neunziger Jahre lernte ich in Moskau den Enkel des Menschen kennen, der die Exekutionen in Katyn geleitet hat. Dessen Frau - die Großmutter meines Bekannten also - war selbst Polin; beide waren sie frühere Mitstreiter des - polnischstämmigen - Dsershinsky, der ja bekanntlich jene fatale Vernichtungsmaschinerie aufgebaut hat. Wie sie meinem Bekanntem - ihrem Enkel also - erzählten, wollten sie das eigentlich gar nicht machen; doch wenn sie sich geweigert hätten, den betreffenden Befehl auszuführen, so hätte sich jemand anderes gefunden, und der hätte sie dann gleich mit exekutiert.

(Ich war damals noch nicht ganz so fix und beweglich in geschichtlichen Dingen und hatte auch andere Sorgen; ging dem dann auch weiter nicht mehr nach, und jenen Bekannten verlor ich aus den Augen. Inzwischen bin in zwar fixer und beweglicher, sogar spielte ich kurz mit dem Gedanken, über noch vorhandene Kanäle mich um Wiederherstellung jenes Kontakts zu bemühen; doch hab ich heute schon wieder andere Probleme....)

Der langen Rede kurzer Sinn: es scheint mir also fragwürdig, diese Sache - gleich manchen anderen Sachen - vom eng nationalen Gesichtspunkt aus zu betrachten; am ehesten gerechtfertigt scheint mir, es allgemein als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu handhaben. “

***

So weit dieser Brief.

Als mehr am Rande mit obigem zusammenhängender Nachtrag noch: Wo Verbrechen unter nationalistischen Gesichtspunkten zustandekommen, muß bei der Beurteilung natürlich auch der nationale Gesichtspunkt berücksichtigt werden (wobei nicht zu vergessen ist, daß eine Regierung oder eine nationalistische Organisation nicht automatisch die Sichtweise restlos aller Vertreter der betreffenden Nation vertritt). Und wenn, zum Beispiel, ein Staatsoberhaupt einen nationalistischen Massenmörder nachträglich zum Nationalhelden ernennt (wie geschehen in der Ukraine mit Stepan Bandera), so ist es Sache derjenigen, die damit nichts zu tun haben wollen, sich öffentlich davon zu distanzieren (wie glücklicherweise gleichfalls geschehen).

Angemerkt sei noch, daß meiner Beobachtung nach engstirnige fanatische Nationalisten in der Regel wenig bis keine Ahnung haben von dem, was an Entwicklungsfähigem in der angeblich von ihnen vertretenen Nation veranlagt ist. Dieses Entwicklungsfähige kann sich, wie mir scheint, nur in freiem, lockerem Miteinander mit anderen Nationen entfalten und wird durch Nationalismus eher erstickt. Auch dies gilt es bei der Beurteilung von Verbrechen „auf nationaler Grundlage“ zu berücksichtigen: daß nämlich Nationalisten auch die in gewisser Hinsicht eher „rechtmäßigen“ Vertreter der betreffenden Nation unterdrücken.

Letzteres nur nebenbei, da, eben, meinem Verständnis nach in Bezug auf Verursacher und Ausführende des Katyn-Massakers höchstens ganz am Rande nationale Gesichtspunkte eine Rolle spielen.

Raymond

♦♦♦

Nachbemerkung

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf anschauen und/oder herunterladen kann.

 

Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."

Doppelnas