Im März 2014 niedergeschriebene Gedanken
zum aufflammenden Ukraine-Chaos
Teilweise war es wohl mehr oder weniger
berechtigte Unzufriedenheit, die zu jenem Euromaidan führte.
Doch blieb es nicht beim berechtigten
Volkszorn. Nicht zu übersehen war, dass die Unzufriedenheit von unbekannten
Regisseuren als Material benutzt wurde für Ziele, die mit dem Volkswohl nicht
unbedingt zu tun haben. Plötzlich erschienen da irgendwelche im Westen verankerte
Klitchkos und sonstige Führerpersönlichkeiten; und leicht war zu sehen, dass da
irgendwas faul ist.
Wie dem auch sei: Euromaidan nannte
sich diese Versammlung; und sie nannte sich so aus dem Grunde, weil man sich
Rettung von der EU erhoffte und in ebenjene EU hinein wollte.
In die EU wollte man, ohne eine Ahnung zu
haben, was diese EU und was dieses Europa eigentlich ist.
Nun gut; dass Europa kulturell eine Leiche
ist, scheint auch den meisten Europäern nicht bewusst zu sein; aber dass in
diesem Milieu geistiger, intellektueller, moralischer Verrottung zunehmend –
wie es anders nicht sein kann – auch die Wirtschaft verrottet und materielles
Elend sich ausbreitet – ist inzwischen sogar für zahlreiche Europäer nicht mehr
zu übersehen.
Doch wenn die Europäer, im Allgemeinen,
nicht wissen, was mit ihrem Europa los ist – wie soll man das in der Ukraine
kapieren; besonders, wenn da – mit Epizentrum Euromaidan – ein das Denken weitgehend ausschaltender Hexenkessel entsteht mit
seinen Führerpersönlichkeiten und ideologischer Fanatisierung.
Dass der Euromaidan nur das Vorspiel ist
zu einem großen Chaos - sah ich sofort und ließ dann allmählich ab von dem immer
mühsamer werdenden Unterfangen, inmitten dieses Marktgeschreis, des Wirrwarrs
aus – bewusst oder leichtfertig verbreiteten – Lügen nach dem zu suchen, was
Sache ist. Das Einzige, was ich mit Sicherheit wusste, war: dass das ein Hexenkessel ist, in dem verschiedene
Kräfte sich ihr Süppchen kochen; und dass die Sache, wenn kein Wunder
geschieht, unweigerlich zu einem großen Chaos auswächst.
Doch was soll es, außer Chaos, auch
anderes noch geben, da im Laufe der letzten Jahrzehnte die meisten Chancen
verschlafen wurden. Dass dieser Schlaf irgendwann zu einem unsanften Erwachen
führen wird – war vorauszusehen.
Unter "Erwachen" versteh ich
natürlich nicht, dass man großflächig aufwachen und versuchen wird, sich
besonnen um das zu kümmern, was Sache ist; zu solchem Optimismus sehe ich
keinerlei Anlass. Ich meine das in dem Sinn, dass man durch die immer
ungemütlicher werdende Weltlage am geruhsamen Weiterschlafen gestört wird und
sich, von unerquicklichen und quälenden Alpträumen und Eindrücken geplagt, im
Halbschlaf unruhig hin und her wälzt.
Und nach im Halbschlaf zu rezitierenden
oder zu komsumierenden Sonntagspredigten über Geist und Welterrettung wird
einem immer weniger zumute sein. Aber vielleicht versteht man dann wenigstens,
mit einiger Verspätung, dass Geist nur in der lebendigen Geistesgegenwart lebt
und dass man eben dies in all den verschlafenen Jahrzehnten, ob mit oder ohne
Sonntagspredigten, eben, verschlafen hat.
Europäische Werte und Russland
Obige Notiz veröffentlichte ich 10 Jahre
später, am 2. Mai 2024, auf Substack. Dort wurde sie von Irina, einer
des Deutschen mächtige Moskauer Bekannten, gelesen.
Irina schickte mir per WhatsApp einen
Kommentar, der zu einem kurzen, aber höchstlich interessanten Schriftwechsel
führte.
Ich verfiel auf den Gedanken, die Notiz
mitsamt Korrespondenz zu veröffentlichen.
Irina war einverstanden; und so übersetzte
ich die Notiz ins Russische und veröffentlichte das Ganze in diesem Blog. In
Russisch.
Und nun hab ich unseren kurzen, aber nicht
uninteressanten Schriftwechsel ins Deutsche übersetzt und veröffentliche das
Ganze auch in Deutsch:
♦♦♦
Irina
Sehr gut hast du da über den Euromaidan
geschrieben. Das Recht, sowas zu schreiben, hat vermutlich nur ein Europäer,
der Europa von außen betrachtet. Mit großem Interesse habe ich das gelesen.
♦♦♦
Meine Antwort:
Ja nun, all dies musste ich seinerzeit von
innen her studieren. Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Anfangs verstand
ich fast überhaupt nix; nur so ein Gespür: dass das nichts für mich ist; dass
ich dort als Fremder unter Fremden lebe… Interessant, dass ausgerechnet in dem
Dorf, wo ich lebte, Sendetürme aufgerichtet wurden, mit deren Hilfe der
berühmte Sender „Radio Luxemburg“ seine Fäulnis verteilte. Dass das stinkende
Fäulnis ist, verstand ich bereits als Kind. Und heute verstehe ich, dass eben
dieser Sender beträchtliche Hilfestellung leistete beim Zugrunderichten der
mitteleuropäischen Kultur.
All diese Fäulnis studierte ich von innen
her, während ich mich aus den Sümpfen herauswurschtelte…
Vielleicht schreibe ich noch ausführlicher
über diese Quälereien in den Sümpfen der verfaulenden europäischen Kultur… Eben
auf Russisch; hier wird das gebraucht… Auf Russisch habe ich schon einiges
geschrieben; zum Beispiel vor vielen Jahren der Artikel für die Literaturnaja
Gaseta «Показуха в заморской маске», den ich in deutscher Übersetzung unter dem
Titel „Augenwischerei auf Vornehm“ auf meiner Internetseite veröffentlicht
habe… Damals merkte ich, wie diese europäische Fäulnis begann, sich auch in Russland
zu verbreiten…
Vielleicht schreibe ich wirklich noch
ausführlicher…
Ein Foto von den erwähnten Sendetürmen,
mit deren Hilfe vor vielen Jahren Radio Luxemburg seine Fäulnis über Europa
verspritzte. Pionierleistung im Verfaulen…
Im Schatten dieser Monster bin ich
aufgewachsen.
Gewissermaßen in einem Epizentrum des Verfaulens…
Dank diesem Umstand durchschaue ich heute diesen Fäulnisprozess
recht gut.
***
(als in Russland die „Perestroika“ in
vollem Gange war, stieß ich in Deutschland in einer deutschen Zeitschrift auf
einen Artikel über irgendeine russische Schlagersängerin, Alla Pugatchova, die
man als Promi behandelte. Der Verfasser dieses Artikels war sichtlich
begeistert, dass diese Russen sich bereits bis auf die Höhe des Promikultes
hocharbeiten konnten. – Und für mich war das eine verblüffende und
beunruhigende Nachricht… Befreien sich vom Joch des Bolschewismus, um in der
westlichen Fäulnis zu versinken…)
♦♦♦
Irina
Ja, auf dem Foto sieht man, dass das mit
dem Menschen nichts zu tun hat; jetzt erschreckt mich das. Und in unserer
Jugend phantasierten wir über den „Westen“; das Wort „westlich“ war Synonym für
„prunkvoll, nobel, stilvoll, besser“. Und nun erinnern Roman und ich uns häufig
daran, mit welcher Dämlichkeit wir damals auf dieses Lametta hereinfielen;
gleich Wilde auf Glasperlen…
Deine Erwähnung der Pugatchova – sehr
lustig.
(meinen zum Thema passenden in der "Literaturnaja Gaseta" veröffentlichten Artikel findet man hier in deutscher Übersetzung)