Samstag, Juni 06, 2009

Von den Erfolgreichen

Discussion

Ein an diesem Orte schon gelegentlich berührtes Thema nochmal etwas genauer unter die Lupe nehmend:

♦♦♦

Solange der Mensch, besonders der zu geistiger Trägheit neigende, durch unhinterfragte wohl funktionierende Umstände getragen wird: versteht er eigentlich gar nix, lebt mit seinen Mitmenschen wie „Sandkörnchen neben Sandkörnchen“ und hat kaum eine Chance, sich zu entwickeln.

Zu diesen wohl funktionierenden Umständen gehören: Ein gesunder, durch keinerlei Probleme behelligter Körper, den man höchstens durch ein bißchen „Fitneßtraining“ noch besser zum Funktionieren bringt; soziale Mechanismen, denen man sich unhinterfragt angepaßt hat und die einen wohlig tragen, darunter einem von irgendwoher zuströmende wirtschaftliche Mittel; eine durch keinerlei unnötige Fragen wie Sinn und Unsinn des Lebens und sonstigen Klimbim – es sei denn in Form eines unverbindlichen intellektuellen Zeitvertreibs – behelligte seelische Situation.

Nun ist aber der heutige soziale Organismus infolge der technischen Entwicklung mitsamt Arbeitsteilung wieauch infolge sonstiger Faktoren so saumäßig kompliziert, daß er zu seinem rechten Funktionieren auf bewußte, denkende, sozial fähige Menschen angewiesen ist. Wenn solche Menschen fehlen, funktioniert die Sache halt eine zeitlang – von außen betrachtet: sogar scheinbar recht gut – als toter Mechanismus, den sich bewußtlos mittragen lassenden zur Erbauung, die zur Bewußtheit neigenden als Störfaktoren beiseiteschiebend oder zermahlend.

Dieser Mechanismus läuft so lange, bis er irgendwann auseinanderkracht. Zur Zeit scheint er weltweit am Krachen und wird es möglicherweise nicht mehr lange machen.

Das Schicksal jener „Erfolgreichen“, die das relative Funktionieren jenes Mechanismus mit ihrem eigenen Funktionieren verwechselt hatten, ist dabei ein entsetzliches; an Entsetzlichkeit nicht zu vergleichen mit dem auch nicht leichten Schicksal der zur Bewußtheit neigenden. Sie, die Erfolgreichen, fliegen plötzlich raus aus dem sie tragenden Mechanismus, dem sie sich so willig angepaßt hatten; verlieren plötzlich ihre Krücken und merken erst jetzt: daß sie an Krücken gingen und gar nicht gehen können. Oder merken noch immer nichts und sind nur, weiterhin ohne Bewußtheit, beleidigt auf die böse Welt; genauso wie sie früher bewußtlos sich zu den Erfolgreichen rechneten. Und da die Beziehung zu ihrer Umgebung, ohne nennenswerte eigene Aktivität, durch jenen Mechanismus sowie durch von selbigem bereitgehaltene Vergnügungen geregelt wurde, kamen sie auch nicht dazu, soziale Fähigkeiten zu entwickeln; wissen nicht einmal so recht, was das sein soll: soziale Fähigkeiten; merken nur: daß sie plötzlich in ihrem Unglück alleine sind.

Manche kommen darüber vielleicht – so sie nicht vollends den Boden unter den Füssen verlieren und durchdrehen – in eine gewisse Entwicklung hinein.

Was doch zweifellos gut ist.

Iss doch fast schon weise eingerichtet; nich? So der Mensch nicht freiwillig sich um seine Entwicklung kümmert, um bewußtes Darinnenstehen im Sozialen, so schafft er ganz automatisch solche Bedingungen, die ihn mit der Zeit vor die Wahl stellen: entweder an sich arbeiten, sich zum Nachdenken bequemen, ein Bewußtsein für seine Mitmenschen entwickeln – oder verzweifeln und durchdrehen.

Wollen denn hoffen, daß möglichst viele die Kraft finden werden, sich zu ersterer Variante aufzuraffen: da es sonst nämlich ganz großes Chaos gibt.

Prost.

Kakerlake-4784

Nachbemerkung

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf anschauen und/oder herunterladen kann.

Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."

Марсьёнок


Donnerstag, Juni 04, 2009

Stechmücken

2012_10_29_1004

Das auf dem Foto ist keine Stechmücke, sondern eine Fliege.
Aber auch Fliegen können ganz schön lästig werden.

Doppelnas

Aber doch nicht uninteressant, wie selbstfabrizierte selbstveröffentlichte sprachliche Schnitzer einen manchmal tagelang verfolgen und ärgern können. Bin überempfindlich in diesen Dingen; besonders mir selbst gegenüber. Fast schon pathologisch.

Heute früh wachte ich auf; und schon, einer Stechmücke gleich, schwirrte wieder so einer um mich herum. Einer von diesen selbstfabrizierten selbstveröffentlichten Schnitzern also…

Diese eine Stechmücke, die mich heute früh beim Aufwachen besucht habende, sei hier seziert, aufdaß sie mich künftig in Ruhe lasse (noch ein paar Tage, und ich hätte sie sowieso vergessen; es gibt auch sonst genug, das einen ärgert).

♦♦♦

In einem Forum war's, wo ich zufällig reingerasselt war; es ging, grob gesprochen, um den Unterschied zwischen Geist und Reden über Geist; und die Geburt oben erwähnter Stechmücke hing zusammen mit einer an mich gerichteten Tirade, deren Verfasser die vorangehenden Ausführungen nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden hatte, und welchselbige in der Frage gipfelte:

Und was ist für Sie Geist? So eine Art Gespenst vor der Sie Angst haben.

Normalerweise geh ich auf solche Ergüsse, die ihr Entstehen dem Nichtzuhören oder militantem Nichtverstehen verdanken, nicht ein. Hier aber machte ich eine Ausnahme und tippte auf die Schnelle die Sätze:

Sehr richtig, Herr xxx: so eine Art herumgeistelndes Gespenst ist das. Ich würde nicht sagen, dass ich Angst vor ihm hatte; ich verstand nur lange Zeit nicht, was es damit auf sich hat, weil ich es irgendwie mit Geist verwechselte; und das verunsicherte mich. Als ich dann seinen Gespenstercharakter erkannt hatte, hatte ich keine Probleme mehr damit. Das heisst, eine zeitlang ärgerte ich mich noch darüber; und irgendwann war es mir dann egal.

Klickte, wohin man zu klicken hat; und schon war's drin.

Und ich guckte hin. Und ärgerte mich.

Das heißt, die Gesamtaussage ist in Ordnung, dazu steh ich (abgesehen davon, daß ich eigentlich hätte weiter ausholen müssen, um auf den aus Nichtverstehen geborenen Erguß logisch einwandfrei zu antworten); nur zwei harmlose Kleinigkeiten fielen mir ins Auge; harmlos, aber immerhin weit genug daneben, um mich zu ärgern.

Hätte jemand anders das so geschrieben, so wäre es mir auch aufgefallen; aber ich hätte es sofort wieder vergessen und mich auf das konzentriert, was er sagen will. Da ich das aber selbst so geschrieben hatte, wurde es mir zum Ärgernis.

Eben.

♦♦♦

Es beginnt mit dem „hatte“ im zweiten Satz. Nun gut; das ist einfach ein Tippfehler, nur halt einer mit leicht entstellendem Charakter; lauten müßte es „hätte“: „Ich würde nicht sagen, daß ich Angst vor ihm hätte…“

Schlimmer steht es mit dem letzten Satz:

Das heisst, eine zeitlang ärgerte ich mich noch darüber; und irgendwann war es mir dann egal“.

Das „irgendwann“ nämlich drückt den Moment des Eintretens eines Ereignisses oder Umschwungs aus und ist mit dem Dauerzustand des „Egalseins“ nicht vereinbar. Lauten könnte es etwa: „… und irgendwann hörte es dann auf, mich zu interessieren“; oder sonstwat in der Richtung…

So isses.

♦♦♦

Normalerweise berücksichtigt man diese logischen, sprachlichen Zusammenhänge ja ganz automatisch, ohne viel darüber nachzudenken; auffallen tun sie einem erst dann, wenn das automatische Berücksichtigen bei einem selbst oder bei anderen aussetzt; und, zusätzlich, wie in meinem Fall: man ärgert sich über den Aussetzer…

Aber ansonsten ist das Leben zweifellos schön und kann nur noch schöner werden.

Prost.

Raymond

Марсьёнок



Dienstag, Juni 02, 2009

Geist und Sattheit

2009_05_31

(Dieses Foto, weil es ein paar Tage vor Verfassen dieses Beitrags geknipst wurde)

Kakerlake-4784

Aus einem Brief an eine Bekannte, die meinte, ich solle diese Stelle einrahmen und über meinen Schreibtisch hängen. - Da aber der ausgedrückte Sachverhalt mir schon längst bekannt ist, werde ich selbige Zeilen nicht einrahmen und auch nicht über meinen Schreibtisch hängen; setz sie dafür ins klamurkische Blog. Vielleicht findet sich jemand, der was damit anfangen kann. Wenn man es durchschaut hat: eigentlich nix Besonderes.

In der heutigen Zeit, wo alles teils versumpft ist, teils verknöchert, ist es sehr schwierig, seine Kräfte sinnvoll einzubringen, und wenn sehr viele Kräfte da sind, die nicht recht wissen wohin, kann das mitunter tatsächlich recht schmerzhaft sein.

Wenn man verwundbar ist oder verwundet ist man viel näher an der Kultur, als bei satter Gleichgültigkeit. Sogar bin ich der Ansicht, daß ohne ehrlich durchlebtes Leiden echte Kultur gar nicht möglich ist. Der heutige Westen hat eigentlich kaum Kultur; was man im Westen Kultur nennt ist tatsächlich fast alles nur „Überbau“. Vielleicht war das schon zu Marxens Zeiten so; weiß nicht; aber es könnte sein; und vielleicht kam er deswegen auf den Gedanken, alle Kultur sei Überbau.

Schimpanse
 

Nachbemerkung

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf  anschauen und/oder herunterladen kann.

Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."

Kakerlake-4784