Sonntag, Juli 23, 2006

Tiefgreifendes

IMG_0885

Als ich dies schrieb, lebte ich in Tbilissi, und meine Alltagssprache war Russisch (Georgisch hab ich nie so richtig gelernt; aber in dem zweisprachigen Tbilissi ging das auch so). Die deutsche Sprache, mit der ich mehr oder weniger aufgewachsen bin, hätte mir egal sein können. War sie aber nicht.

Obiges Foto hab ich ein Monat vor Verfassen dieses Artikels in der Redaktion der Zeitschrift „Multinationales Georgien“ geknipst.

So isses.


 
Doppelnas

Die deutsche Rechtschreibereform interessiert mich insofern nicht, als ich selbst, so ich Deutsch schreibe, mich an die deutsche Sprache halte und die Willkürlichkeiten irgendwelcher zu Autoritäten ernannter Reformer nicht beachte. Andererseits passiert es doch aber immer wieder, daß man dies und jenes in deutscher Sprache zu lesen hat; und dann packt einen zwischendurch, ob man will oder nicht, eine hilflose Wut ob all dieser Reformerdämlichkeit.

Ob man etwas getrennt schreibt oder nicht getrennt hängt – wie manchen vermutlich bekannt – mit der Begrifflichkeit zusammen, die durch dieses Wort bzw. diese Wörter repräsentiert ist und somit auch mit der Intonation. Hätte es nichts mit der Bedeutung, der Intonation usw... zu zun, sondern nur mit den Launen irgendwelcher normgebender Reformer, so bräuchte man ja eigentlich weiter kein Aufhebens darum zu machen; die mit keiner Realität verbundene Schreibweise könnte man so sein lassen, wie sie ist, oder aber, wenn schon mal Reform, sich den Launen der Reformer anpassen. Aber eben der Unsinn, den die Reformer mit ihren Veränderungen anrichten, lenkt den Blick ganz brutal und schmerzhaft darauf, daß, eben: Zusammenschreiben oder Getrenntschreiben eng mit dem Inhalt und somit auch mit der Intonation verknüpft ist.

Anlaß zu vorliegendem Erguß war eine „tief greifende Veränderung“, bei der ich mich mal wieder aufraffte, mir meinen Ärger vom Leibe zu schreiben (Anlässe gibt es sonst mehr als genug; aber man hat ja auch anderes zu tun, als dauernd nur seinem Ärger Luft machen…)

Wenn man die Sache nicht rein formell nimmt, sondern lebendig, in Verbindung mit der Sprache, entdeckt man sofort, daß „tiefgreifend“ und „tief greifend“ von unterschiedlicher Intonation sind und somit auch von unterschiedlichem Inhalt. Bei „tief greifend“ ist das Verb „greifen“ im Zentrum und wird entsprechend betont, während das Adverbum „tief“ nur als charakterisierendes Anhängsel fungiert. “Ein tief greifender Baggerarm“ zum Beispiel (ein besseres Beispiel fällt mir grad nicht ein; ist ja auch egal).

Etwas ganz anderes das zusammengeschriebene Adjektiv „tiefgreifend“, welches die Konsequenzen einer Tatsache charakterisiert: Eine tiefgreifende Veränderung. (Oder, als Adverb, die Konsequenzen einer Handlung: Er hat das tiefgreifend verändert.)

Aber wozu schreib ich det alles eigentlich?

Ach ja, um mich abzureagieren… Iss ja im Prinzip auch egal…

Prost.

Марсьёнок

Samstag, Juli 01, 2006

Fußballweltmeisterschaftliches

Kakerlakenfussball

In Deutschland herrscht zur Zeit Fußballweltmeisterschaft.

Was im Einzelnen läuft, weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Verstehen kann ich, wenn jemand Spaß daran findet, Fußball zu spielen. Halbwegs verstehen kann ich auch noch, wenn jemand Spaß daran hat, zuzugucken, wie andere Fußball spielen. Halbwegs… Selbst hab ich zum Beispiel eine Schwäche fürs Rudern. Doch hab ich nicht das geringste Interesse daran, zuzugucken, wie andere rudern. Wenn ich zugucke, werde ich höchstens neidisch: daß ich selbst grad keine Gelegenheit habe, zu rudern… Aber vielleicht ist das beim Fußball anders; ich weiß es nicht. Kann aber sein.

Vollständig unverständlich ist mir aber, wie man aus dem Zugucken ein solches Tamtam machen kann, und rätselhaft ist mir, wie ganze Völkerstämme ihr Wohl und Wehe davon abhängig machen, wie eine Mannschaft, welche aus irgendwelchen Gründen als „Nationalmannschaft“ des Landes definiert ist, in dem sie ihren Wohnsitz haben, mit anderen Mannschaften spielt; wie brave Bürger, die selbst nie einen Ball in der Hand hatten, ihr Selbstwertgefühl von dem Spiel der Nationalmannschaft jenes Landes abhängig machen, welches ihnen ihren Personalausweis ausgestellt hat. Vor ein paar Tagen las ich gar auf irgendeiner deutschen Nachrichtenseite, daß man in Deutschland hofft, mit Hilfe des Fußballs die wachsende Krise zu bewältigen; sogar die deutsche Bundeskanzlerin wurde mit zum Schrei weit geöffneten Munde beim Fußballgucken fotografiert, und es heißt, daß sie durch ihre Wandlung zum Fußballfan sehr viel an Popularität gewonnen hat. Ja nu, wenn das Volks Wert darauf legt, eine solch fußballfanatische Bundeskanzlerin zu haben, wurde durch solche Wandlung natürlich viel gewonnen.

Für mich aber ist all dies rätselhaft und viel zu hoch; und deshalb lassen wir dieses Thema besser sein und wenden uns verständlicheren Dingen zu.

Kakerlake-4784

Mittwoch, Juni 28, 2006

Vom Rehabilitieren

Nikolai
Am 17. Juli 1918 wurde in Jekaterinburg Nikolai Alexandrowitsch Romanov ermordet; zusammen mit seiner Familie. Es war dies eine Zeit des allgemeinen Mordens und Blutvergießens; so viel wurde gemordet, daß die meisten der in diesen und den folgenden Jahren gewaltsam abgebrochenen Einzelschicksale in Vergessenheit gerieten. Denn das ging in die Millionen… An die Ermordung von Nikolai Alexandrowitsch Romanov erinnert man sich aus dem Grunde, weil er, unter dem Namen Nikolai II, der letzte russische Zar war.

Und nun, neunzig Jahre später, bemüht eine gewisse Maria Romanova, Nachfahrin jener einstmals Rußland beherrschenden Familie, die russischen Gerichte mit der Forderung, den ermordeten Nikolai zu rehabilitieren. Einzelheiten dieser traurigen Komödie kann man, zum Beispiel (in Russisch) nachlesen unter http://www.gazeta.ru/2006/06/26/oa_205569.shtml.

Was eine solche Rehabilitation beinhalten soll, was man durch sie erreichen will – bleibt unverständlich. Zu Zeiten der Sowjetunion wurde nach der „Entlarvung des Personenkults“ fleißig rehabilitiert; das heißt, Menschen, welche aufgrund des Stalin-Terrors unschuldig jahrelang in Lagern oder Gefängnissen eingesperrt waren, wurden befreit und erhielten eine Bescheinigung, daß sie unschuldig sind; und wer den Terror nicht überlebt hatte, wurde posthum rehabilitiert. Das war alles sinnvoll; denn mit der „Entlarvung des Stalinschen Personenkultes“ hörte die Sowjetunion mitsamt ihrer Verfassung nicht auf, zu existieren: der Rehabilitierte galt im Sinne der Verfassung als unbescholtener Bürger, hatte unter Umständen Anrecht auf Entschädigung; und selbst eine posthume Rehabilitierung brachte bei der in der Sowjetunion üblichen Sippenhaft immerhin Vorteile für die Familie.

Inzwischen hat die Sowjetunion mitsamt ihrer Verfassung aufgehört, zu existieren, und wer durch den Stalin- und auch post-Stalin-Terror in Mitleidenschaft gezogen war, hat, ob rehabilitiert oder nicht, mitsamt Angehörigen keinerlei Nachteile mehr zu befürchten. Und auch der gesellschaftliche Ruf ist nicht gefährdet, da heute allgemein bekannt ist, daß das Hineingeraten in die Mühlen der sowjetischen Terrorjustiz nichts mit moralischen Qualitäten des Betroffenen zu tun hatte (oder höchstens in dem Sinn, als moralisch hochstehende da noch leichter reingerieten als andere).

Der Staatsapparat ist – was leicht übersehen wird – eine rein pragmatische Angelegenheit, welche das Zusammenleben der Menschen regelt oder zumindest regeln soll. Daß er nicht selten – selbst von stramm atheistisch auftretenden – mystifiziert wird, hat mit dem realen Sachverhalt nichts zu tun; oder höchstens insofern, als er, der reale Sachverhalt, vernebelt wird und daß dem Staatsapparat durch solche Mystifizierung eine Macht zugesprochen wird, die ihm eigentlich nicht zusteht (im Deutschen gab oder gibt es, zum Beispiel, eine Bezeichnung „der Vater Staat“, und so weiter…). Interessante Folge solcher Mystifizierung ist, zum Beispiel, daß besonders bei autoritätshörigen Zeitgenossen die moralischen Qualitäten eines Menschen bestimmt werden auf Grundlage seiner Beziehung zum Staatsapparat. Wurde er durch den Staatsapparat nie zur Rechenschaft gezogen, ist er „unbescholten“ – so ist er in Ordnung. Ein Mensch kann um sich herum seine Mitmenschen das größte Elend stürzen – wenn er es schafft, solches unter Vermeidung von Konflikten mit dem Staatsapparat zu bewerkstelligen und unbescholten zu bleiben – so ist er ein geachteter Bürger. – Solche Ablenkung von den faktischen moralischen Qualitäten eines Menschen, vom faktischen Wert seines Tuns ist, eben, eine Folge der Mystifizierung des Staatsapparats.

Kommen wir zurück zu Nikolai Alexandrowitsch Romanov. Wenn man seine Tagebücher und Aufzeichnungen liest und die geschichtlichen Ereignisse jener Zeit sich vergegenwärtigt, in die er eingriff oder zumindest hätte eingreifen sollen – bekommt man den Eindruck, daß das ein hochanständiger Kerl war und ein vorbildlicher Familienvater; daß er aber das ganz große Pech hatte, in eine Funktion hineingeboren zu werden, der er aufteufelkommraus nicht gewachsen war. Wenn man seine Aufzeichnungen und seine Taten genauer studiert, kann man sich so nach und nach ein Bild machen von dieser Persönlichkeit und ihren menschlichen Stärken und Schwächen. Wenn man es studiert… Wenig bis gar keine Anhaltspunkte zu den moralischen, menschlichen Qualitäten jenes Nikolai Romanov erhält man hingegen aus der Tatsache, daß er am 17. Juli 1918 in Jekaterinburg erschossen oder ermordet wurde.

Von einer „moralischen“ Rehabilitation kann bei näherem Hinsehen keine Rede sein; das sind Dinge, die mit dem Staatsapparat nichts zu tun haben (wie gesagt: höchstens für solche, die den Staatsapparat mystifizieren und den Wert eines Menschen an der Art seiner Beziehungen zu selbigem bemessen; doch das ist deren Problem). – Was für praktische Folgen eine Rehabilitation für die entfernten „Hinterbliebenen“ haben könnte – bleibt schleierhaft1). Niemand verfolgt sie, niemand macht ihnen einen Vorwurf daraus, daß sie entfernt verwandt sind mit jenem vor neunzig Jahren ums Leben gekommenen…

So daß man etwas Mühe hat zu verstehen, was das eigentlich soll…
_______

1) Die Richter, die sich mit dieser Spiegelfechterei abzuquälen haben, meinen, daß es sich bei jener Erschießungsaktion um einen kriminellen Akt, also um einen ganz normalen Mord handelt und daß deswegen von einer Rehabilitierung keine Rede sein kann. – Um im Sinne der jenem Rehabilitierungsgesuch zugrundeliegenden verworrenen Mystik definieren zu können, ob es sich um einen Mord oder um eine Hinrichtung handelt, muß man erst feststellen, ob im juristisch-mystischen Sinne zu jenem Zeitpunkt die Sowjetunion bereits als existent zu betrachten ist; und wenn ja: ob der Befehl zur Erschießung von beglaubigten Vertretern dieser Staatswesenheit erging, oder ob die Erschießenden nach eigenem Gutdünken handelten. – Obwohl man sich fast schämen muß, einen solchen keinerlei Realitäten berührenden Gedankengang überhaupt auszusprechen, sei er der Vollständigkeit halber trotzdem erwähnt.