Montag, September 07, 2015

Zum Fall Ralph Boes

DE_E_Vater_Staat

Raymond

Autor:
Raymond Zoller

Doppelnas

Auf Facebook äußerte ich mich in einem Statusbeitrag von Ralph Boes zu seinem freiwillig-unfreiwilligen Hungerstreik bzw. seinem „Sanktionshungern“:

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Bereits mehrere Beiträge habe ich gesehen, wo man dich zum Essen einlädt. Würde ich annehmen. Besser untereinander normale menschliche Zusammenhänge schaffen, als im Kampf gegen ein widermenschliches System, das möglicherweise eh bald zusammenkracht, den Hungertod sterben.

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Jemand meint, daß das nicht der Sinn der Sache ist; daß andere in ähnlicher Situation auch keine Einladung zum Essen bekommt und daß vielen der Mut oder die Kraft fehlt, überhaupt an die Öffentlichkeit zu gehen.

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Meine Antwort:

Ist mir bekannt. Aber ich glaube nicht, daß er dem System beikommen kann; auch nicht mit Märtyrertod. Und das System wurde eben aus dem Grunde so stark und so widermenschlich, weil man immer alles auf "den Staat" abschiebt, statt untereinander für normale soziale Verhältnisse zu sorgen und sich real – ich meine real und nicht abstrakt theoretisierend – sich die Rolle des Staatsapparates in ihrer Wechselwirkung mit anderen Epizentren des sozialen Geschehens zu vergegenwärtigen (nicht bloß schöngeistig gemeinte Anregungen hierzu gibt es in der europäischen Geistesgeschichte mehr als genug).

Mit seinem freiwillig-unfreiwilligen Hungerstreik hat er genügend Aufsehen hervorgerufen; nun gilt es, bevor er sinnlos seine Gesundheit ruiniert, einen sinnvollen Schlenker zu machen und durch Annahme jener Einladungen den versäumten Weg der Entwicklung realer sozialer Fähigkeiten anzudeuten.

(ist kein Witz; ich mein das wirklich so; müßte es bloß ausführlicher darlegen, als das in einem Facebook-Beitrag möglich ist)

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Hierzu folgende Entgegnung:

wieso geben Menschen immer wieder solche Ratschläge, ich kapier es nicht, sind es die eigenen Ängste oder die eigene Bequemlichkeit? Es sind ja alle betroffen, auch das System Arbeit funktioniert fast nur auf Angst

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Meine Antwort:

Bin ich gemeint als einer der "Menschen, die immer solche Ratschläge geben?" Selbst bin ich nicht direkt betroffen; ich leb in Montenegro, bin kein Deutscher, hab keine Angst. Ich seh nur, wie jemand sich – meiner Ansicht nach – unsinnig opfert. Ich bin in Europa geboren und aufgewachsen, hab lange dort gelebt, und die Tendenz, alles auf "Vater Staat" abzuschieben, konnte ich zur Genüge studieren. Und bekam auch mit, wie man – trotz gelegentlicher anderslautender Lippenbekenntnisse – in großem Stil es versäumte, sich um das Entwickeln realer sozialer Fähigkeiten zu kümmern sowie darauf basierender lebensfähiger sozialer Zusammenhänge.

Und außerdem bin ich wirklich der Ansicht, daß Europa, und vor allem Deutschland, am Zusammenkrachen ist; das ist nicht mehr lebensfähig. Vor dem großen Krach im Kampf gegen ein zusammenbrechendes System schnell noch mal den Hungertod sterben betrachte ich, wenn es gestattet ist, det so zu sagen, als Unsinn.

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Hierzu gab es folgende Entgegnung, die ich, mit Auslassungen, in natura wiedergebe:

ich meine die vielen Leute, die immer wieder die gleichen Ratschläge geben, aber warum erklären sie das nicht allen 7000 Betroffenen oder denen, die die Entscheidung getroffen haben? [..] Auch Politiker sind sterblich und stehen jeden Morgen vor dem Spiegel, sie verdrängen täglich, was sie meinen nicht ändern zu können - weil man ja alleine nichts bewegen kann ... aber eine einzige Mücke kann ihnen den Schlaf nehmen, machen sie bitte Ralph Boes nicht zu weniger - abwarten bis sich Strukturen ändern bringt auf jeden Fall weniger - schon wenn wir aufstehen ändert sich unser Horizont

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Meine Antwort:

Daß die derzeitig machthabenden Politiker sich schnell mal ändern könnten – glaub ich nicht; Persönlichkeiten, die aus behäbigem Sichtragenlassen plötzlich aufmerken und sich gegen den sie tragenden Strom wenden könnten – seh ich da keine (Wunder kann es natürlich immer mal geben). Und selbst wenn das Unwahrscheinliche mal eintreten sollte, würden die Puppenspieler die ungehorsame Puppe umgehend durch eine fügsamere ersetzen.

Daß die Strukturen sich ändern werden scheint mir hingegen höchst wahrscheinlich; aber eben in dem Sinne, daß alles zusammenkracht. Kann mich irren; aber fürchte, daß nicht.

Da die Situation immer bedrohlicher wird; so bedrohlich, daß auch manche von den in wohligem Tiefschlaf herumschlafwandelnden noch wohlversorgten Zeitgenossen beginnen, aufzumerken – lassen sich vielleicht, bevor alles drunter und drüber geht, noch Anfänge echten sozialen Zusammenhalts und gegenseitiger Hilfe veranlagen.

Würde Ralph Boes die Einladungen zum Essen annehmen, so könnte das ein einsetzender Schlenker seiner Aktivitäten in ebensolche Richtung sein.

Man vergißt nun mal leicht, daß es außer Politikern auch noch andere Leute gibt

Doppelnas

Nachbemerkung:

Wie oben angedeutet, gibt es in der europäischen Geistesgeschichte genügend nicht bloß schöngeistig gemeinte Anregungen, den Staat seines väterlichen Nimbus zu berauben und die Funktion des Staatsapparats neu zu bedenken. Dies wurde ja auch von manchen ehrlich aufgegriffen; aber es konnte sich gegen die von Vaterkomplexlern getragene immer allmächtiger werdende alles verschlingende Staatsmaschinerie nicht durchsetzen.

Der Grund für diese Ohnmacht lag unter anderem darin, daß solche Bestrebungen meist von tonangebenden Kreisen überschattet waren, in denen ein mit fortschrittlichen Farben übermaltes vaterkomplexiges braves Bürgertum das Sagen hatte. Das mußte schief gehen.

Wie wenig Chancen bestanden und wie sehr das schief gehen mußte wurde mir mit ganzer Brutalität erst vor kurzem bewußt; was seinen Niederschlag fand in dem Blogeintrag „Übergeistelte Gutbürgerlichkeit

Nee; das mußte schiefgehen.

So isses

Doppelnas

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